Das am schlechtesten gehütete Geheimnis der CAD-Branche ist aktuell Onshape. Dem von SolidWorks-Gründer Jon Hirschtick ins Leben gerufenen Unternehmen trat schnell eine ganze Reihe der SolidWorks-Urgesteine wie John McEleney, Scott Harris oder Dave Corcoran bei. Zunächst war nicht klar, wohin die Reise gehen würde, aber anhand der „Besetzungsliste“ ließ sich mit der Zeit immer mehr interpretieren. Auffällig viele Mitarbeiter auf der Teamliste arbeiteten vorher für Firmen, die im Cloudbereich tätig sind.
Seit Januar nun ist das Blog auf der Onshape-Website eröffnet, auch eine geschlossene Betatestphase läuft. Ich hatte schon Gelegenheit, das System zu testen, darf jedoch leider noch nicht darüber sprechen – in einigen Wochen sollte sich das ändern. Ein genauer Zeitplan wird nicht bekanntgegeben, wöchentlich werden neue Funktionen freigeschaltet. Eine Reihe allgemeiner Bemerkungen sind jedoch erlaubt, da sie in den öffentlichen Blogbeiträgen genannt werden:
Onshape wird ein komplett cloudbasiertes 3D-CAD-System werden, im Gegensatz zu manch anderer Software, die lediglich in der Cloud gehostet wird – letzteres ist Desktopsoftware, die in der Cloud läuft, ähnlich der Remote Workstation-Lösungen, wie ich sie bei Dell gesehen habe.
Onshape – die Zukunft der Konstruktion?
Hirschtick will mehr – er will die Zukunft der Konstruktionssoftware neu erfinden, ohne historischen Ballast, mit den aktuellsten technischen Möglichkeiten und unter Berücksichtigung der Herausforderung der modernen Arbeitswelt. Sein Blogbeitrag nennt einige dieser Gesichtspunkte, hier die wichtigsten:
- Die Welt der Produktentwicklung hat sich verändert: Die Teams, die ein Produkt entwickeln, sind nicht mehr im selben Raum, nicht mehr am selben Standort, oft nicht einmal mehr in der selben Firma. Menschen stoßen zu Projekten hinzu und scheiden wieder daraus aus, wenn ihr Anteil an der Arbeit getan ist. „Traditionelle CAD-Systeme waren nie für diese neue Welt der verteilten Konstruktion entwickelt – wir wissen das weil wir sie gebaut haben“
- Die Welt des Computing hat sich verändert: Der Paradigmenwechsel vom Desktopcomputing zur Cloud ist unaufhaltsam, junge Menschen sind in einer „post-desktop“-Welt aufgewachsen, in der man Computer nicht besitzt, wollen überall mit allen Devices arbeiten können. Hirschtick nennt Cloud-, Web- und Mobiltechnologien „aufregende neue Rohmaterialien, aus denen man CAD-Systeme bauen kann. […] Und wenn man sie richtig benutzt, bieten sie ein unglaubliches Potentrial, die Probleme zu lösen, unter denen CAD-Anwender heute leiden.“
- Niemand sonst tut es: Hier übertreibt Hirschtick etwas, ich sehe in der 360-Reihe von Autodesk eine ähnliche Entwicklung mit dem Unterschied, dass Autodesk nicht bei Null anfängt, sondern beispielsweise im CAD-Bereich HSMWorks auf die Cloud adaptiert. Auch bei Dassault Systèmes findet sich mit der 3DExperience ein Ansatz. Den Vorteil der „grünen Wiese“, der Möglichkeit, ohne Rücksicht auf bestehende Technologie arbeiten zu können, hat Onshape dagegen für sich alleine.
Zweifellos wird Onshape ein extrem interessantes System. Die Truppe, die Jon Hirschtick zusammengestellt hat, steht dafür, dass Onshape kein Minisystem vom Schlage Tinkercad wird, sondern die etablierten Marktteilnehmer direkt angreift. Andererseits macht ein CAD-Modellierer noch keine komplette Entwicklungsumgebung – das war 1996, als Hirschtick den Markt mit SolidWorks aufmischte, noch etwas anders. Meiner Meinung nach war dies vor einigen jahren auch der wichtigste Grund, der den durchschlagenden Erfolg von Spaceclaim verhindert hat. Man wird sehen, wie Hirschtick und die Onshape-„Gang“ dieses Dilemma lösen werden.
Ich werde weiter berichten, so wie es mir gestattet ist. Das Onshape-Blog ist jedenfalls sehr lesenswert.