Das vielbeschworene Dassault Systèmes-Motto wurde mir schon mehrmals erklärt, meist als sehr visionäres Thema. Mein Eindruck war bisher, dass diese „Experience“ eine sehr unbestimmte, hochgehypte Sache ist. Bei der SolidWorks 2014-Pressekonferenz letzte Woche hat es Uwe Burk nun erstmals geschafft, die Prinzipien hinter der 3DExperience so zu präsentieren, dass ich einen echten realen Sinn darin sehen konnte. Meine Erkenntnisse aus diesem Vortrag, ergänzt um eigene Beispiele, möchte ich meiner Leserschaft nicht vorenthalten.
Die erste Überraschung für mich war, dass „Experience Economy“, schlecht zu übersetzen als Erlebniswirtschaft oder -ökonomie, eine seit den 90er Jahren bekannte Theorie in den Wirtschaftswissenschaften ist. Nach der Agrar-, der Industrie- und der Serviceökonomie soll die Erlebnisökonomie die nächste Stufe sein. Sie verbindet Produkte und Services mit Erlebnissen beziehungsweise einem sozialen Gefühl. Burk brachte das Beispiel eines Fahradverkäufers, der nicht nur das Fahrrad verkauft (Produkt), sondern auch die richtige Einstellung (Service) sowie einen Hotelaufenthalt, Radtouren mit Führer und Testfahrten vor dem Verkauf (Erlebnis). So soll man das Fahrrad im Rahmen eines positiven Erlebnisses kennenlernen und in der Entscheidung bestärkt werden.
Ein ähnliches Beispiel bieten die Apple-Produkte. die aktuellen iPhones sind sicher nicht mehr die technologischen Vorreiter, die sie einmal waren – Android-Konkurrenten wie das Samsung S4 bieten von den technischen Daten her weit mehr. Ein iPhone zu besitzen ist trotzdem etwas Besonderes – ein Statement, das Zugehören zu einer Gruppe, das Wissen, viele Gleichgesinnte zu haben. Man vergleiche nur einmal den Hype, der sich rund um die Präsentation eines neuen Modells bildet, komplett mit wahren Stürmen in den sozialen Netzwerken und langen Menschenschlangen vor den Apple Stores, mit der Präsentation eines neuen Android- oder Windows-Phones.
Vor allem gilt es der kognitiven Dissonanz entgegenzuwirken, also dem ernüchterten Gefühl nach dem Kauf, wenn man seine Entscheidung beginnt anzuzweifeln – beispielsweise wenn die Alternativen ebenfalls attraktiv waren. Es ist ja das Kennzeichen eines gereiften Markts, wenn die Angebote sich nicht mehr stark unterscheiden. Man kann in ein Produkt eben nur eine bestimmte Menge technischen Fortschritts sinnvoll hineinpacken. Ist dieser „Innovations-Sättigungspunkt“ erreicht, muss der Anbieter andere Wege finden, sich zu differenzieren. Er sattelt beispielsweise Services auf seine Produkte drauf – was so lange weiterhilft, bis die Konkurrenz auch im Service aufgeschlossen hat.
Gut sichtbar ist dies im Automarkt. Die Qualität und Benutzerfreundlichkeit moderner Autos ist fast unglaublich gegenüber den Fahrzeugen beispielsweise aus den 60er-Jahren – was ich jedes Mal feststelle, wenn ich einen meiner Oldtimer nach einer kalten Nacht im Freien zu starten versuche. Man muss mit Gas und Choke spielen, bis alle Zylinder mitlaufen und in der Warmlaufphase aufpassen, dass der Motor nicht wieder ausgeht, behutsam Gas geben und so weiter. Ein modernes Auto startet einfach – egal bei welcher Temperatur und Wetter. Kaltlaufregler fahren den Leerlauf hoch, so dass der Wagen nicht mehr ausgeht, und so weiter.
Dies beherrscht jedoch nicht nur die automobile Oberklasse, sondern der gesamte Markt, So begannen die Premiumhersteller, mit Mobilitätsgarantien, eigenen Pannendiensten und ähnlichem das Serviceangebot auszubauen. Das ist heute ebenfalls praktisch Standard im Markt. Heute versuchen Mercedes, BMW und Co. ebenfalls, ein Erlebnis rund um die Marke aufzubauen, von Veranstaltungen über Werksmuseen bis hin zu ausgefeilten Marketingkampagnen, die nur noch dem Gefühl dienen und keine technischen Werte oder Daten mehr transportieren – man betrachte nur einmal die Werbespots der Premiumhersteller.
Natürlich finden sich solche Phänomene vor allem im Consumermarkt (B2C), weniger im B2B (business to business)-Markt, doch auch beim Verkauf von Maschinen und Komponenten kommt es darauf an, die kognitive Dissonanz zu mildern und dem Kunden das Gefühl zu geben, richtig entschieden zu haben.
Man wählt ein Produkt heute oft nicht, weil es das Beste ist, sondern weil man ein positives Erlebnis damit verbindet. Das lässt sich sehr wohl auf B2B übertragen und Dassault will die Werkzeuge dazu liefern. Die Produkte – und Services – müssen hohe Qualität haben, das wird vorausgesetzt. Um optimal zu konstruieren, benötigt man nach Dassault-Verständnis eine integrierte Entwicklungsumgebung, die zum einen effiziente Entwicklung – schließlich ist das Produkt an sich nur noch einer unter mehreren Kostenfaktoren – ermöglichen, zum anderen die Qualität sicherstellen – hier kommen Produkt- und Fertigungssimulation sowie Datenmanagement ins Spiel – und zum dritten es schon in sehr frühen Designphasen erlauben, Produktmodelle dem Kunde zu zeigen, um beispielsweise die Marktpositionierung zu testen, aber auch, um das Produkt in der Zusammenarbeit mit dem Kunden zu entwickeln. Letzteres verstärkt natürlich die Bindung zwischen Anbieter und Kunden extrem, das Produkt entspricht am Ende den Anforderungen des Kunden und dieser fühlt sich verstanden und eingebunden.
Und an diesem letzten Punkt passen dann auch die von Dassault Systèmes und deren CEO Bernard Charles so gerne gezeigten Visionen von virtuellen Showrooms und Avataren, die gemeinsam Produkte betrachten, wieder ins Bild.
„Ich hatte schon immer den Traum einer virtuellen Welt, die unsere reale Welt erweitert und verbessert. Einst habe ich meine Vision einer Plattform skizziert, die Menschen, Ideen und Wissen miteinander verbindet. Heute wird diese Idee Wirklichkeit – mit dem Dassault Systèmes‘ Compass und der ersten 3DExperience Plattform.“
Bernard Charles
Uwe Burk sagte „Produkte alleine sind nicht mehr genug, um Erfolg zu haben“. Er hat natürlich Recht. Und so erschließt sich die 3DExperience auch als das, was es ist: Eine Philosophie, die seit Jahren die Entwicklungs- und Zukaufstrategie von Dassault Systèmes treibt und die vielen Produkte im Dassault-Portfolio zu einem sinnvollen Ganzen verbindet.