Auf dem PI Congress (siehe auch diesen Blogeintrag) hatte ich ein Gespräch mit Grant Rochelle, Senior Director Industry Marketing bei Autodesk, und während ich am Stand auf ihn wartete, ließ ich mir von Garin Gardiner, Fusion 360 Product Manager, Fusion 360 (weitere Infos in Englisch) zeigen. Daraus entspann sich eine interessante Diskussion über PDM und PLM in der Cloud.
Ehrlich gesagt hatte ich anfänglich Probleme, den Sinn hinter Autodesk PLM 360 zu sehen. Das Produkt wurde der Presse erstmals auf dem Autodesk Digital Prototyping Forum 2011 vorgestellt und ich frage mich seit damals, wie ein PLM-System ohne PDM funktionieren soll. In meinem Verständnis ist die Verwaltung der CAD- wie auch anderer Daten der Kern von PLM, denn die Verwendung der Daten im gesamten Lebenszyklus ist meiner Meinung nur möglich, wenn diese Daten in einer Datenbank abgelegt sind.
Man kann sich zwar vorstellen, aus dem PLM heraus auf im Dateisystem gespeicherte Daten zu verlinken, aber das öffnet doch eine große „Datenintegritätslücke“. Sobald eine Datei verschoben oder umbenannt wird, bricht die Verlinkung zwischen Datei und PLM-Metadaten. Das ist ja auch der Ausgangspunkt von PDM: Man speichere alle CAD-Modelle in einer Datenbank und lasse die Verlinkungen zwischen den Daten von der Datenbanksoftware erstellen und überwachen.
So ist – in meiner PLM-Welt – PDM die Basis für PLM, ein PLM-System ohne PDM ein wenig wie ein Baum ohne Wurzeln. Die ersten Anwendervorträge, die ich im Frühjahr 2012 erlebte, überzeugten mich nicht, da sie von Firmen kamen, die eher geringeren Engineering-Anteil haben, aber hohen Bedarf an einer gemeinsamen, überall verfügbaren (Meta-)Datenbasis. Diese Unternehmen bilden ja auch einen ernstzunehmenden Markt. Auch andere PLM-Anbieter sind mit Recht stolz auf ihre Kunden aus der Mode- und anderen Branchen, die Windchill, Enovia oder Teamcenter nutzen, ohne CAD-Daten darin zu speichern.
Ich kann auch einen Vorteil darin sehen, wenn man beispielsweise Vault im eigenen Netzwerk nutzt, um CAD-Daten zu verwalten, und darauf die Cloudlösung PLM 360 setzt. So hat man einerseits Zugriff auf die PLM-Daten von überallher, andererseits bleiben die wertvollen CAD-Daten im eigenen Netz und eben nicht in der Cloud. Letzteres entspricht sicherlich dem Sicherheitsempfinden vieler Firmen. Mir fehlt in diesem Gedankenmodell aber die enge Anbindung zwischen PDM und PLM, wie ich sie für notwendig erachte – besonders, weil Autodesk keine Anforderungen an das PDM-System macht beziehungsweise kein PDM-System erwartet, um PLM 360 nutzbar zu machen.
Anders wird die Sache – und das ist das Ergebnis des Gesprächs mit Grant Rochelle – wenn man PLM 360 in einer Integration mit einer Cloud-CAD-Applikation wie Fusion360 sieht. Fusion 360 speichert die Daten nicht wie bisher üblich auf Anforderung des Users oder in bestimmten Zeitabständen, sondern erstellt konstant Snapshots. Es ergibt sich so eine Historie des Modelliervorgangs – die nichts mit dem Historienbaum eines „nicht-Direktmodellierers“ verwechselt werden darf! – die nicht an einzelne Dateien gebunden ist. Ein ganz ähnliches Speichermodell verfolgt übrigens SolidWorks mit seiner kürzlich vorgestellten Mechanical Conceptual-Cloudapplikation, hier werden die Schritte des Konzepts automatisch gespeichert und lassen sich als Startpunkt einer neuen Iteration nutzen.
Fusion 360 erscheint im zweiten Halbjahr 2013, ist also noch nicht marktreif und – soweit ich es verstehe – auch dann nicht als komplettes, „full-featured“ CAD-System beziehungsweise als Inventor-Ersatz zu betrachten, aber ein interessantes Gedankenspiel ergibt sich trotzdem: Fügt man das erwähnte Cloud-Speicherkonzept gedanklich mit einem Cloud-PLM-System zusammen, ergibt sich ein sehr stimmiges Bild: Die Autorensoftware (Fusion 360) speichert in eine Datenbank, aus der heraus sich die Verwaltungssoftware (PLM 360) die Daten holt. Allerdings sind die CAD-Daten dann in der Cloud – man kann eben nicht alles haben.
Ist übrigens jemand aufgefallen, das Autodesk mit Fusion360 auf eine komplette Cloud-Entwicklungsumgebung zusteuert? Neben CAD und PLM versammeln sich in der 360-Famile ja auch noch Simulation, Rendering, Collaboration. Auch wenn Fusion360 wie erwähnt – noch! – kein „richtiges“ CAD-Systemn ersetzt, fehlt grundsätzlich nicht mehr viel.