Aus PLM-Sicht war die diesjährige HMI nicht gerade die Messe der großen Neuheiten. Was einige der großen PLM-Hersteller allerdings nicht davon abhielt, ihre traditionellen Pressekonferenzen und -frühstücke zu veranstalten, um uns mit Informationshäppchen zu versorgen. So hatten wir Journalisten viel Zeit, mit vollen Mund die jüngsten Gerüchte durchzukauen. Wusstest du schon…
A propos Gerüchte – ein langjähriger SolidWorker beklagte sich bitterlich darüber, dass die lieben Mitbewerber keine Gelegenheit ausließen, böse Gerüchte über das baldige Aus des populären CAD-Programms zu streuen, um der Firma (Neu-)Kunden abspenstig zu machen. Ich, konnte mir natürlich die Bemerkung nicht verkneifen, dass SolidWorks bzw. die Muttergesellschaft Dassault Systèmes daran nicht unschuldig seien. Mit ihrer absurden Kommunikationspolitik (nichts zu sagen, ist auch eine Form der Kommunikation) liefern die Franzosen den Gerüchteköchen der Konkurrenz ständig neue Ingredienzien für das bittere Süppchen, das die arme, gegängelte Tochter dann auslöffeln darf. Statt klar zu sagen, wo es lang geht, umarmen sie sie bis ihr die Luft ausgeht. Mundtot ist sie ohnehin schon.
Wenn ich von den Franzosen rede, meine ich natürlich auch die Franzosen. Die Marketing- und Kommunikationsstrategen der deutschen Dassault-Tochter sind angesichts oder besser aufgrund der Kommunikationspolitik der französischen Muttergesellschaft selbst sprachlos, und ihr Schweigen wiegt umso schwerer, als sie eigentlich mehr reden müssten, um die personalabgebauten Marketiers von SolidWorks zu ersetzen. Können oder dürfen sie aber nicht, weil die Franzosen es geschafft haben, den Maulkorberlass – eigentlich eine urdeutsche Idee – neu zu erfinden. Was wie kommuniziert oder nicht kommuniziert wird, bestimmt Paris, pardon Vélizy.
Die Haute Cuisine der französischen Kommunikationskunst kommt leicht und locker daher, manchmal auch ziemlich schwammelig, jedenfalls ganz sicher nicht al dente, und das obwohl die Marketingchefköchin italienische Wurzeln hat. 3DExperience – ein ganz neues Geschmackserlebnis. Das Problem ist nur, dass die deutschen Anwender harte Arbeit als Konjunkturlokomotivführer und -heizer zu leisten haben und deshalb Kohldampf schieben. Sie (und wir Hungerleider von der schreibenden Zunft) brauchen handfestere Kommunikationskost. Und in der Gerüchteküche der Wettbewerber riecht es verführerisch nach herzhaftem Eisbein und Ribeye-Steaks.
Die Franzosen kümmert das nicht auf ihrem 3D-Selbsterfahrungstrip, den manche schon für ein 3Delirium halten. Sie schweben völlig losgelöst von der Erde der Cloud entgegen, immer dem neuen COMPASS nach (übrigens ein wirklich toll gemachtes Hochglanzmagazin für Entscheider), und verlieren dabei völlig die marketingtechnische Bodenhaftung. Es fehlt ganz einfach die Rückkopplung zur Realität der Kunden. Die wollen wissen, wie (und wie lange) es mit SolidWorks weiter geht, wenn im Sommer dieses Jahres die Cloud-basierte Software der nächsten Generation auf den Markt kommt. Wann wird die neue Software den gleichen Funktionsumfang wie die klassische bieten? Wie kompatibel werden beide Lösungen sein, können sie komplementär eingesetzt werden? Viele offene Fragen, die sich gerade die Kunden stellen, die heute noch in die klassische Version investieren wollen – und sollen. Wir Journalisten uns natürlich auch. Aber Schweigen im Bois.
Auf der HMI konnte oder wollte jedenfalls niemand Auskunft geben – ist ja auch nur die weltgrößte Industriemesse. Aber, und das ist vielleicht das Problem, eine Veranstaltung im tiefsten Merkelland, und auf die Daimlerdeutschen ist der oberste Visionär von Dassault Systèmes, gar nicht gut zu sprechen, seit sie sich gegen die französische 3DExperience entschieden haben. Gut, eigentlich haben sie sich gegen die PLM-Verpackung dieser Erfahrung entschieden, aber das ist ein anderes Thema. Als Journalist kann man jedenfalls angesichts dieser beredten Sprachlosigkeit nur stumm den Kopf schütteln und die beiden Gallier zitieren: Die spinnen die Franzosen.