Der SolidWorks-Kundentag der Bechtle AG am 21. November 2013 dürfte die wichtigste deutsche Anwendertagung im SolidWorks-Umfeld in diesem Jahr gewesen sein. Etwa 250 Besucher folgten dem Ruf nach Neckarsulm.
Die Begrüßungsrunde war prominent besetzt: Neben Bechtle-Vorstand Michael Guschlbauer, verantwortlich für IT-Systemhaus & Managed Services, sprachen Norbert Franchi, der bei Bechtle den Geschäftsbereich Software und Anwendungslösungen verantwortet, und Uwe Burk, Country Manager Central Europe von SolidWorks. Seine Ausführungen zu Dassaults 3DExperience habe ich in diesem Beitrag schon einmal besprochen. Viel Aufsehen erregte der folgende Vortrag der Biologin Nina Gaißert aus dem Bionik-Forschungsteam von Festo, die über die Prozesse, mittels derer Prinzipien aus der Natur bei Festo in die Welt der Technik übertragen werden. Der Smartbird, der bei der SolidWorks World in Orlando schon viel Aufsehen erregt hatte, durfte dabei nicht fehlen.
Im Interview erläuterte Norbert Franchi, wie sich die Bechtle-PLM-Strategie in der Realität bewährt. Drei Jahre nach dem Kauf von Solidpro und zweieinhalb Jahre nach dem Erwerb von SolidLine ist Franchi zufrieden mit der Entwicklung in einem, wie er sagt, harten Umfeld.
Im Jahr 2011 wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, in der Mitarbeiter der neuen CAD/PLM-Töchter, aber auch der bestehenden Software- und Lösungsbereiche vertreten waren. In dieser Arbeitsgruppe wurde nach Synergien und potentiellen Lösungen gefahndet, die sich durch die Integration der Konstruktionssoftware mit den bestehenden Business- und IT-Lösungen ergeben. Das Ergebnis war Bechtle PLM, ein Lösungsportfolio, das über das reine Lizenzgeschäft hinausgeht.
Interessant für Franchi sind die unterschiedlichen Entscheidungswege: „CAD-Entscheidungen fallen eher in der Konstruktionsabteilung, Prozessoptimierung ist ein Thema für den Unternehmer und das obere Management, und da kommen wir mit Bechtle PLM jetzt heran.“ Deshalb wurde eine eigene Beratergruppe gebildet, die speziell Bechtle PLM in Bezug auf Prozessoptimierung betreut.
Franchi sieht ein Problem durch die heutigen, komfortablen CAD-Systeme, die es einfacher machen, ein Teil neu zu modellieren als zu suchen, ob ein passendes Teil wiederverwendet werden kann. Oft kostet jedoch die Anlage ebenso wie das spätere Löschen eines Teils etwa 1000 Euro, zudem entstehen Verwaltungs- und andere Kosten von weiteren 1000 Euro pro Jahr – das Einsparpotential durch Wiederholteile ist also immens. Franchi sieht die Lösung in integrierten, komfortablen Such- und Verwaltungsfunktionen.
Virtualisierung ist für Franchi das zweite Megathema der nahen Zukunft. Die Konzentration von Rechnerperformance in Servern, von wo sie den Anwendern in Form virtueller Rechner angeboten werden, hat in vielen IT-Bereichen zu großen Einsparungen geführt. Die Administration ist weitaus einfacher, wenn nur noch eine virtuelle Maschine statt vieler einzelner Rechner auf dem neuesten Stand gehalten werden muss, ein leistungsstarker Server stellt an vielen einfachen Terminals die jeweils benötigte Rechenleistung zur Verfügung. Nicht zuletzt lassen sich Hardware und oft auch Softwarelizenzen effizienter nutzen. Im CAD-Bereich ist das Konzept bisher nur wenig verbreitet, unter anderem, weil Virtualisierungslösungen bisher nicht die benötigte Grafikleistung bringen konnten.
Bechtle ist bei VMWare, einer der wichtigsten Virtualisierungslösungen, Marktführer in Europa und hat entsprechend hohe Kompetenz. Franchi sieht in letzter Zeit verschiedene Konzepte, die die für CAD benötigte Grafikleistung virtualisiert zur Verfügung stellen können und damit die Chance, Virtualisierung auch in diesem Bereich stärker zu nutzen. Bechtle könne mit seiner Kompetenz hier Mehrwert bieten.
Derzeit wird eine Lösung in diesem Bereich getestet, sie soll, wenn die Tests positiv verlaufen, bald ins Bechtle-PLM-Angebot aufgenommen werden. Das Unternehmen betreibt übrigens an seinem Hauptsitz in Neckarsulm ein rund um die Uhr besetztes Supportcenter das für Kunden deren IT überwacht und bei Problemen schnell reagieren oder Support leisten kann – eine ideale Ergänzung zu einer virtualisierten CAD-Umgebung.
Es gibt bei Bechtle keinerlei Bestrebungen, Solidpro und SolidLine zu fusionieren. Dies mache keinen Sinn, sagte Franchi. Die beiden Systemhäuser arbeiten schon heute eng zusammen, so nutzt beispielsweise Solidpro die SAP-Schnittstellenkompetenz von SolidLine, die mit Porta~X ein Interface zwischen SolidWorks und SAP PLM im Angebot haben. Andere Kompetenzen werden wiederum bei Solidpro aufgebaut und von SolidLine bei den Kollegen bezogen. So nutze man das Know-how der beiden Unternehmen optimal aus. Zudem entspricht es der Bechtle-typischen Vorgehensweise, sich in dezentralen Einheiten mit nicht mehr als 200 Mitarbeitern zu organisieren.
Die Übernahme der beiden SolidWorks-Systemhäuser durch den IT-Spezialisten Bechtle macht aus dieser Perspektive Sinn: Heutzutage sind CAD/PLM-Inseln immer weniger gefragt, die Einbindung in die Unternehmens-IT ist die Voraussetzung für echtes PLM. Dazu fehlen vielen CAD-Systemhäusern aber die Kompetenzen in den „nicht-technischen“ Bereichen. Solidpro und SolidLine können hier auf das Mutterhaus zurückgreifen und komplette Lösungen anbieten, ohne auf die CAD-Kompetenz zu verzichten. Und zusätzlich ergibt die Fähigkeit, sowohl auf Prozess- wie auf CAD-Ebene mit Kunden zu sprechen, sicherlich immer wieder die Chance, zusätzlich vertrieblich aktiv zu werden. Kommt der Erstkontakt beispielsweise über eine CAD-Evaluation zustande, können die Bechtle-Systemhäuser heute auch helfen, wenn es sich zeigt, dass etwa im ERP-Bereich Beratungs- und Optimierungspotential besteht. Das nennt man dann wohl Win-Win-Situation.