Gestern erreichte mich eine E-Mail mit Pressemitteilungen von HP zu zwei neuen Geräten und der „Blended Reality„-Vision, die auf den ersten Blick aufsehenerregend sind, auf den zweiten Blick aber Fragen aufwerfen. Die verfügbaren Informationen finden sich hier.
Zum einen sprout by HP, ein All-in-One-PC mit einem senkrechten Touchscreen, der von einem sogenannten Sprout Illuminator überragt wird – einem Galgen, der Scanner, Tiefensensor, Kamera und Projektor enthält. Die Projektion trifft auf eine waagerecht vor dem Monitor liegende, touchsensitive Matte. Wie im Film Minority Report, wo Tom Cruise mit Gesten Bilder herumschiebt und Daten bearbeitet, lassen sich mit sprout Bilder zwischen dem oberen und unteren Bildschirm tauschen, Dinge einscannen und so weiter.
Die Bedienphilosophie von sprout ist wirklich toll und wirkt dank der beiden Multitouchdisplays sehr natürlich.Allerdings müssen Programme sicher erst einmal auf diese Hardwarekombination angepasst werden, um so sauber zu funktionieren, wie es die Videos zeigen.
Was mich sehr wundert: Das wäre eine ideale Maschine für Designer, wenn beispielsweise die zSpace-Technologie – mit der HP durchaus experimentiert – hier integriert wäre. Man würde mit einer 3D-Brille Objekte dreidimensional vor dem Monitor schweben sehen, die man mit Hilfe eines Stylus bearbeiten kann – das zSpace-System muss man erlebt haben, um es zu verstehen. Anscheinend hat das Gerät ja die Fähigkeit, 3D-Scans anzufertigen – schließlich ist ja ein Tiefensensor integriert – aber die Demovideos zeigen nur relativ einfache 2D-Designanwendungen. Für mich eine tolle Designstudie mit dem Potential, dass so oder ähnlich der CAD-Arbeitsplatz der Zukunft aussehen könnte – Man stelle sich das Gerät mit einem zSpace- und einem konventionellen Zweitmonitor vor, das es erlaubt, sowohl konventionell am CAD-System als auch dreidimensional zu modellieren. Dann könnte man zum einen analytisch-genau arbeiten als auch „bildhauerisch“ durch Drücken und Schneiden am 3D-Objekt.
https://www.youtube.com/watch?v=gzXwWTJa1hc
Die zweite Produktankündigung ist gar keine. Auf der Releaseparty in New York wurde ein fertig aussehendes Gerät gezeigt, das aber in den Unterlagen wird es als „Conceptual industrial design for HP’s first Multi Jet Fusion printer“ bezeichnet. Leider haben die meisten Kollegen dieses Material nicht gelesen und schreiben Dinge wie „HP Just Launched Its Own Super-Fast 3D Printer“ oder „HP unveils first 3D printer“.
HP verkaufte vor Jahren schon einmal 3D-Drucker, allerdings handelte es sich dabei um umgelabelte Stratasys uPrint-Geräte. Bald nachdem man diesen Geschäftsbereich im Herbst 2012 wieder geschlossen hatte, verkündete HP-Chefin Meg Whitman im Herbst 2013, dass man „Mitte 2014″ erste Modelle auf den Markt bringen werde. Auf der HP-Hauptversammlung im März sprach man von „einer großen technischen Ankündigung“ im Juni, kurz danach wurde dieser Zeitpunkt auf Ende Oktober verschoben. Die vorliegende Ankündigung scheint nun diese Ankündigung zu sein.
Im Kern scheint es sich beim Multi Jet Fusion-Verfahren um ein aufgebohrtes 3DP-Verfahren zu handeln, wie es die ZPrinter von 3D Systems nutzen. Zum Einsatz kommt der seitenbreite Druckkopf, mit dem HP schon seinen Tintenstrahldruckern Beine gemacht hatte. Statt eines einzelnen Druckkopfs, der auf der Seite hin- und herfährt, besitzt dieser Drucker einen Kopf, der so breit wie die Seite ist und auf dem die Düsen in einer Reihe quer zum Papierweg angeordnet sind. So kann eine Seite in einem Durchlauf gedruckt werden.
Dieser Druckkopf fährt nun von links nach rechts über ein Pulver – bei letzterem scheint es sich nicht wie beim ZPrinter um ein gipsähnliches Material, sondern um thermoplastischen Kunststoff – und versprüht zwei, später wohl auch mehr Flüssigkeiten, sogenannte Agents. Eine der beiden begünstigt den Zusammenhalt der Pulverteile, der andere verhindert ihn – so sollen sich sehr scharfe Kanten und glatte Flächen erreichen lassen. Dann fährt von oben nach unten ein zweiter Balken über das Bett, in dem Hitzequellen eingebaut sind, die das Material verbacken. In diesem Balken ist im Bild im Whitepaper auch noch ein „Material Coater“ eingezeichnet, dessen Funktion ich nicht verstehe.
HP nennt auch noch die Möglichkeit, die Materialeigenschaften durch weitere Agents selektiv zu beeinflussen. Auch Farbdrucke scheinen möglich, es werden auch Beispieldrucke gezeigt.
Nun die schlechte Nachricht:
While the HP 3D Print technology is available today, HP is working directly with customers under the HP Open Customer Engagement Program. Through this program, HP will continue to extend the capabilities of the HP 3D Print platform throughout development and will provide a certification process for partners to drive materials innovation. Wider distribution of the HP 3D Print system will begin in 2016.(4)
(4)Availability is subject to change
Auf gut Deutsch: Wir sind im ersten Betastadium, das Verfahren läuft im Labor zufriedenstellend, und wir hoffen, dass wir bis 2016 ein Produkt haben. Vor dem Hintergrund, dass HP die Präsentation seines lange angekündigten eigenen 3D-Druckers inzwischen mehrmals verschoben hat, ist dies nicht gerade viel. Vor allem der Zeitrahmen von bis zu zwei Jahren ist schon sehr weit gefasst – wird das Verfahren bei der unglaublich schnellen Entwicklung des Rapid Prototyping/3D-Druck-Markts 2016 noch jemand vom Hocker reißen? Die größte Innovation scheint mir die Verwendung eines seitenbreiten Druckkopfs, der das Potential hat, den Druckvorgang massiv zu beschleunigen. Ansonsten darf man weiterhin gespannt sein, auf welche Welt der HP 3D-Drucker in zwei Jahren trifft. Betrachtet man, was Stratasys mit der Connex500 und 3D Systems mit dem ProJet 4500 schon heute kann, ist HP heute schon hintendran.