Siemens hat meiner Meinung nach von Anfang an besser verstanden, welche Juwelen im UGS-Portfolio schlummern, als dies viele Marktbeobachter glaubten.
Ich erinnere mich gut, dass viele glaubten, Siemens habe UGS wegen Tecnomatix übernommen. Doch der Kauf erfolgte gerade dann, als Teamcenter auf eine SOA-Architektur umgestellt war, die es erstens erlaubte, die UGS-Produkte enger zusammenzubringen und zweitens, die Prozesskette bis in die Siemens-Automations- und Steuerungsecke zu verlängern. Zusammen mit dem lange unterschätzten Juwel Synchronous Technology, das in der noch länger vernachlässigten Solid Edge-Entwicklung ausgebrütet wurde, war dies meiner Meinung nach genug Grund, zuzugreifen.
Siemens (in diesem Fall ist der über PLM Software rangierende Bereich gemeint) und die PLM-Software-Führungsriege haben eine sehr genaue Vision davon, wohin sie mit der Softwareabteilung wollen. Das zeigt sich auch in der am Monatsbeginn verkündeten Umstrukturierung von Siemens in neun Divisions, von denen eine „Digital Factory“ heißt. Siegfried Russwurm, Vorstand des Industriebereichs, breitete diese Vision in den letzten Jahren immer wieder aus, unter anderem auf den Hannover Messe-Pressekonferenzen 2012, 2013 und 2014 des Konzerns.
Software wird immer wichtiger in dem ehemaligen Elektrotechnikkonzern, und mit dem UGS-Portfolio und den weiteren Akquisitionen der letzten Jahre hat sich Siemens die Tools ins Haus geholt, um die große Vision umzusetzen. Ein Beispiel aus dem Vortrag von Chuck Grindstaff auf der PLM Europe:
Je komplexer eine Werkzeugmaschine wird, desto höher die Anforderungen an die – im besten Fall von Siemens stammende – Steuerung und an den Programmierer sowie dessen Tools. Die Steuerung kann nur so gut arbeiten, wie das Programm ist, gleichzeitig wird der Zeitaufwand für die Optimierung und den Test der Software immer größer – Grindstaff sprach von einer dreiwöchigen Zeitspanne, in der Anlagen (manchmal) stillstehen, während der Programmierer an der Maschine steht und Feinschliff oder Kollisionskontrolle betreibt.
Man ersetze nun die reale Maschine durch ein CAD-Modell – für das man ein CAD-System braucht – und simuliere das CAD-Modell der Maschine – Stichwort LMS – auf Basis der Steuerungsbefehle der Simatic. Schon ist das reale Bearbeitungszentrum freigeschaufelt für Produktivzeit und der Programmierer kann den Feinschliff parallel am viel preiswerteren Modell machen.
Ich erwähne der Vollständigkeit halber Tecnomatix, mit der sich die einzelne Maschinen dann in eine ganze Fertigungslinie – wiederum gesteuert von vernetzten Siemens-Steuerungen – integrieren lassen und überlasse es der Fantasie des Lesers, das Stichwort Industrie 4.0 auf dieses Gedankengebäude anzuwenden – und schon zeigt sich, was Siemens wirklich mit UGS gekauft hat – nämlich die fehlende Softwarehälfte zu seinem Automatisierungs- und Industrieangebot.