Man ist ja einiges gewöhnt, wenn man viele Jahre im High-Tech-Bereich unterwegs ist, aber manchmal sitzt man doch mit offenem Mund da und denkt: „Jetzt wird Science Fiction Wirklichkeit!“ Mir ging es gestern so, als ich die ersten Videos zu Microsofts neuester Produktankündigung sah. Im Zuge der Windows 10-Vorstellung zeigte Microsoft ein neues Hardwaredevice namens HoloLens und eine neue Softwareplattform, die unter dem Namen Microsoft Holographic läuft.
Bisher hat Windows relativ wenige Informationen veröffentlicht, aber es gibt zwei Videos und am Mittwoch wurde bei der Windows 10-Pressekonferenz das Device live gezeigt. Dabei wurde ein Quadrocopter-Chassis modelliert und 3D-gedruckt, wobei ich wette, dass man die Journalisten nicht die 15 Stunden, die der Druck wahrscheinlich brauchte, auf ihren Stühlen sitzen ließ, sondern einen vorbereiteten 3D-Druck zeigte – ich war nicht vor Ort, sondern muss mich auf Berichte im Internet stützen. Neben den im Video gezeigten Szenarien einer mit Informationen „angereicherten“ Küche und eines Minecraft-Szenarios sind die Teile des Videos natürlich extrem interessant, in denen es um Konstruktion geht.
Im Prinzip handelt es sich bei der Hardware um eine Kreuzung von Google Glass, der Virtual Reality-Brille Oculus Rift und dem 3D-Sensor Kinect. Die Displays der Brille überdecken einen großen Teil des Sichtfelds, so dass per Software und Head- beziehungsweise Augen-Tracking die Blickrichtung des Nutzers bestimmt wird. Über die Displays werden dann virtuelle Inhalte passgenau in das reale Blickfeld eingeblendet. Gleichzeitig scannt das Device die Umwelt und die Hände des Nutzers, so dass dieser per Gestensteuerung die virtuelle Umwelt manipulieren kann.
Ein wichtiges Problem der 3D-Konstruktion ist der fehlende Größenbezug, man sieht am Bildschirm meist nicht, ob ein Teil einen Millimeter oder einen Kilometer breit ist. Das macht es extrem schwierig, Proportionen abzuschätzen beziehungsweise ein Gefühl dafür zu bekommen. Nicht umsonst werden bis heute Anschauungsmodelle gebaut, nach wie vor ist das Claymodell beim Design von Produkten unverzichtbar.
HoloLens macht Proportionen erlebbar
Eine holografische Darstellung adressiert dieses Problem, indem sie das 3D-Modell in seiner natürlichen Umgebung zeigt. Wenn das Motorrad wie im Video direkt vor einem zu stehen scheint und man darum herumgehen kann, kann man tatsächlich das Design beurteilen. Und vom direkten Modellieren mit den Händen statt mit 3D- und 2D-Maus hat wohl jeder schon geträumt, der Stunden über Stunden am 3D-System verbringt.
Microsoft bringt hier mehrere Technologien zusammen, die im CAD-Bereich immer wieder für Furore sorgen, aber bisher nie richtig ins Rollen kamen, beispielsweise Virtual Reality zum Eintauchen in virtuelle Welten, Gestencontroller wie der Leap Motion Controller oder auch 3D-Bildschirme wie die von zSpace. Noch mehr als andere Computernutzer leidet der 3D-Konstrukteur an der zweidimensionalen Ansicht, die ein Bildschirm nun einmal ist.
Übrigens vermeidet eine direkt vor den Augen sitzende Brille ein wichtiges Problem, das die Virtual Reality in ihrem Durchbruch hemmt: Aktuelle Caves und Powerwalls benötigen extrem starke Rechner, um die erforderliche hohe Auflösung auf den riesigen Bildschirmen – und das auch noch in 3D – zu berechnen. Ein Display direkt vor den Augen kommt mit wesentlich weniger Pixeln aus, weil die Darstellung viel kleiner und näher ist, aber denselben Bereich des Sichtfelds ausfüllen kann.
Wird HoloLens die Initialzündung für Windows 10?
Man darf nicht vergessen: Microsoft steht unter starkem Druck, Windows 10 auch in der Geschäftswelt zum Erfolg zu machen, nachdem Windows 8 in Großen und Ganzen gefloppt ist. Dazu braucht das Unternehmen ein oder mehrere Features in Windows 10, an denen professionelle Anwender nicht vorbeikommen. Die Kacheloberfläche hat Profi-Computernutzer eher abgeschreckt, die meisten werden auf Windows 7 geblieben sein. Holographic könnte eines dieser „Must-Have“-Features sein, zumindest im Bereich 3D-Design.
Der 3D-Hype, der zur Zeit vom Thema 3D-Drucker befeuert wird, unterstützt Microsofts Pläne durchaus. Die Vision, dass 3D-Drucker eine ähnliche Verbreitung finden wie 2D-Drucker, wird nie wahr werden, solange nicht das Erstellen eines 3D-Modells so einfach wird wie das Schreiben eines Briefs. Da ist die Szene, in der der Vater das Raumschiff des Sohnes nachmodelliert, aufschlussreich: Wenn man tatsächlich ein 3D-Modell in der Luft „zurechtkneten“ kann, ist dieses Hindernis keines mehr. Dann kann wirklich bald fast jeder – vom Amateur bis zum 3D-Designprofi – 3D-Modelle generieren. Mit entsprechender Softwareunterstützung lassen sich so auch technische Teile modellieren – schon heute gibt es Software, die einen zittrig gezeichneten Kreis als solchen erkennen und in ein echtes Geometrieelement umwandeln.
Die Softwareplattform soll im Frühjahr und die Hardware im Herbst verfügbar werden. Ich bin extrem gespannt, ob die CAD-Systemhersteller auf den Zug aufspringen werden und ihre Anwendungen an Microsoft Holographic anpassen. Das Unternehmen wird aggressiv an die Softwarehersteller herangehen, um deren Unterstützung zu gewinnen – die Redmonder Kassen sind nach wie vor gut gefüllt.
Marty McFly hatte recht: Wir leben im Jahr 2015 tatsächlich in der Zukunft.
[Update] Auch die Satirezeitung „Der Postillon“ hat sich des Themas angenommen.
Ich habe noch ein Video der Präsentation gefunden, komplett mit einer kleinen Designsession: https://www.youtube.com/watch?v=b6sL_5Wgvrg
Der Postillon hat sich des Themas angenommen:
http://www.der-postillon.com/2015/01/microsoft-hologrammbrillen-entwickler.html