„CAM ohne CAD geht nicht“, habe ich am Anfang eines Interviews mit Wolfgang Weiß geschrieben, das in der Ausgabe 8/2012 der :K CAD CAM veröffentlicht wurde. Anlass des Interviews mit dem Open Mind-CAD-Produktmanager war die Vorstellung des eigenen CAD-Systems Hypercad-S. Seither ist das System weiter gereift und es hat nun mit der Unterstützung von Volumenmodellen einen großen Schritt nach vorn gemacht.
Als CAM-Anbieter hat man im Grunde zwei Möglichkeiten: Entweder man beschränkt sich darauf, gute Schnittstellen zu einem oder mehreren CAD-Systemen zu schaffen und sich ansonsten auf seine Software zu konzentrieren. Dann hat man jedoch große Nachteile, wenn Kunden eine Lösung aus einer Hand suchen – man ist im Endeffekt zumindest teilweise von Partnerschaften mit CAD-Systemhäusern abhängig, die die eigene Lösung als Add-On zum CAD-System verkaufen.
Oder man lizenziert ein CAD-System, um eine komplette Lösung anbieten zu können, muss dann allerdings eigene CAD-Kompetenz aufbauen. In beiden Fällen hat man – so sah es zumindest Weiß damals im Interview – das Problem, dass das jeweilige CAD-System ein System für alle Ansprüche ist. Die Anforderungen des CAM-Bereichs werden nur zum Teil erfüllt, andererseits hat das System viele Funktionen, die der NC-Programmierer nicht benötigt und die nur die Bedienoberfläche verstopfen.
Hypercad-S: radikal auf CAM optimiert
Aus diesem Grund hat Open Mind im Jahr einen dritten Weg gewählt und sich sozusagen ein CAD-System auf den Leib schneidern lassen. Grund für den Schritt waren die Turbulenzen um think3, das Open Mind unter dem Namen Hypercad in Lizenz verkaufte. Hypercad-S wurde von einem Team entwickelt, das schon einige Erfahrungen in diesem Bereich hat, und so konnte schon nach einem knappen Jahr im Mai 2012 eine erste, in Hypermill integrierte Version des neuen Systems getestet werden. Dem Entwicklungsstart im August 2011 war allerding eine weitere, mehr als einjährige Definitionsphase vorangegangen, in der die Architektur des Systems und die Komponenten der Software festgelegt wurden. Seit 2013 ist das System nun im produktiven Einsatz.
Da die Open Mind-CAM-Spezialisten gewissermaßen freie Hand bei der Definition der Kernel- und anderer Funktionen hatten, bietet Hypercad-S einige für „Normal-CAD-User“ ungewohnte Funktionen und Eigenschaften, die jedoch für den CAM-Anwender eine große Erleichterung bieten. So kennt ein normaler CAD-Kernel nur die Haupttypen „Fläche“ und „Linie“, Hypercad-S dagegen hat eine wesentlich breitere Palette an Flächentypen zu bieten, beispielsweise zylindrische, ebene, Freiform-, Rotations- und verschiedene andere Flächen.
Dies wiederum ermöglicht einzigartige Filterfunktionen, die für reine CAD-Anwender oft wenig Sinn machen, dem CAM-Anwender dagegen das Leben sehr viel einfacher machen, zum Beispiel die Möglichkeit, alle zylindrischen Flächen – also alle Bohrungen – an einem Bauteil auszuwählen. In anderen Systemen muss der NC-Programmierer die Bohrungen mühsam zusammensuchen, um ein Bohrprogramm zu erstellen, in Hypercad-S ist es eine Sache weniger Mausklicks, beispielsweise alle Bohrungen mit 4mm Durchmesser zu markieren und diesen ein Werkzeug und eine Bearbeitung zuzuweisen. Auch eigene Werte lassen sich definieren und filtern.
Zunächst einmal bringt die letzte Woche neu vorgestellte Version 2014.2 im Bereich der Auswahlfilterung für Flächen und Kurven Neues, hyperCAD-S kann nun begrenzte, tangentiale, koaxiale und koplanare Flächen ebenso in einem Schritt am gesamten Modell auswählen wie Fasen und Verrundungen.
Die größere Umwälzung gab es jedoch „ganz unten“, im Kern des Systems. Bisher war Hypercad-S ein reines Flächensystem, was aus der CAM-Sicht durchaus Sinn macht, denn hier geht es eben nur um Flächen, die zu bearbeiten sind. Allerdings arbeiten nun einmal die meisten CAD-Systeme auf Volumenbasis und die Bearbeitung von Flächengeometrien ist meist relativ komplex. CAM-Anwender arbeiten jedoch ganz überwiegend mit importierten Daten, was sich schon im reichhaltigen Schnittstellenpaket des Open Mind-Systems zeigt, das die Formate IGES, STEP, DXF/ DWG, Catia V4 und V5, Siemens NX, PTC Creo und SolidWorks umfasst. Zudem können Punktewolken importiert werden.
Um die Arbeit mit diesen meist volumenbasierten Fremddaten zu erleichtern, kann Hypercad nun auch direkt mit Volumenmodellen arbeiten. Das System ermöglicht direktes Modellieren, die Modellgeometrie lässt sich durch Auswahl der gewünschten Features oder Flächen und durch Ziehen an den Griffen und Manipulatoren nach Belieben bearbeiten. Der Anwender muss dabei keine Konstruktionshistorie oder irgendwelche Abhängigkeiten berücksichtigen.
Die neuen Volumenmodellierungsfunktionen können sowohl auf eigene wie auch auf importierte Geometrien angewendet werden, so lassen sich Solids klassisch durch lineares Extrudieren einer Kontur oder durch die Rotation einer Kontur erzeugen. So definiert der Anwender beispielsweise lineare oder Rotationsnuten. Hypercad-S bietet als Basiselemente Bohrungen, Muster, Verrundungen und Fasen.
Eigene Features lassen sich speichern
Anwender, die häufig mit sich wiederholenden Features arbeiten, werden das neue Zonenfeature zu schätzen wissen, mit dem sich benutzerspezifische Features anlegen lassen. Die Zonen können transformiert, kopiert, gelöscht oder als benutzerdefinierte Auswahl abgespeichert werden. Hypercad-S bearbeitet Volumina unter anderem mit booleschen Operationen wie Vereinigung, Differenz, Schnittmenge oder Teilen. Features lassen sich unter anderem durch Löschen, Neudefinition, Spiegeln, Extrahieren, Mustererzeugung verändern.
Alle Möglichkeiten erleichtern dem CAM-Programmierer Änderungen an CAD-Modellen, etwa bei der Erzeugung von Mitteltoleranzen oder Ankonstruktionen sowie bei der Konstruktion von Spannwerkzeugen oder Vorrichtungen.
Ich beobachte Hypercad-S schon seit Beginn mit großem Interesse, weil mich die Entwicklung fasziniert – ein System, das auf Konventionen und Historie keine Rücksicht nimmt beziehungsweise nehmen muss und radikal auf die Bedürfnisse von CAM-Anwendern optimiert ist, ist schon etwas Besonderes. Mit der Volumenmodellierung nähert sich Hypercad-S dem Mainstream an, ohne diese Konzentration auf den CAM-Bereich zu verlieren.