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Denise Schindler: Paracyclerin forscht mit Autodesk an der Prothese der Zukunft

Mit Spezialprothese auf dem Weg nach Rio 2016.

Auf der Hannover Messe hatte ich das Vergnügen, die frischgebackene Weltmeisterin über 3000m im Bahnradfahren, Denise Schindler, kennenzulernen. Das Besondere daran ist, dass Frau Schindler mit zwei Jahren ein Bein unterhalb des Knies verloren hat und ihre Leistungen – von der Para-Cycling-Bahnrad-WM in Apeldoorn kam sie mit einem kompletten Medaillensatz Gold/Silber/Bronze zurück – mit einer Prothese einfährt. Seit einigen Monaten arbeitet sie mit an einem Projekt, Prothesen und zusammenzubringen.

Kompletter Medaillensatz: Denise Schindlers Ausbeute von der Para Cycling Bahnrad-WM (Bild: Pixolli Studios – Oliver Kremer)

Bis heute ist die Herstellung von Prothesen ein sehr handwerklich geprägter Prozess. Der Orthopädietechniker fertigt einen Gipsabdruck des Stumpfs an, von dem wiederum ein Positivabdruck erstellt wird. An diesem Gipsteil arbeitet der Orhopädietechniker nun mit Feile und Gipsauftrag so lange, bis er die gewünschte Form erreicht hat. Bei der Fertigung des Schafts, in dem der Stumpf steckt, muss er immer die Polsterung berücksichtigen, die den Stumpf vor zu viel Druck schützen.

Diese Polsterung ist das eigentliche Kernstück, sie muss genau auf die Beschaffenheit des Stumpfes angepasst sein. Wo mehr Gewebe ist, polstert dieses mit. Dort, wo das Ende des Knochens unter der Haut steckt, muss viel stärker gepolstert werden. Am Ende ist es wie mit einem Skischuh: Die Prothese muss möglichst eng sitzen, um möglichst viel Halt zu geben und Kraft zu übertragen, ohne dass Druckstellen auftreten.

Der Stumpf verändert sich ständig

Beim Leistungssportler verändert sich der Stumpf durch das Training ständig, so dass der Schaft ebenso ständig angepasst werden muss. Denise Schindler sagte, dass sogar beim Umstieg von der Bahnrad- auf die Straßenrennsaison durch das veränderte Training – auf der Bahn ist die Explosivität wichtiger, auf der Straße die Ausdauer – der Muskelansatz am Stumpf und damit dessen Form sich ändern. Die Prothesen unterscheiden sich je nach Einsatzzweck und Belastung zudem nicht nur in der äußeren Form, sondern auch in der Gestaltung des Schafts und der Polsterung – sie benutzt aktuell fünf verschiedene Prothesen zum Radfahren, Gehen, Joggen und so weiter. Sehr ähnliche Probleme stellen sich bei der Prothesenversorgung von Heranwachsenden, bei denen sich durch das Wachstum ein ähnliches Verhalten zeigt.

Bisher passt der Orthopädietechniker ständig die Prothese an und musste dabei immer wieder von vorn beginnen. Autodesk hat Mitte letzten Jahres ein Projekt gestartet, um gemeinsam mit Frau Schindlers Orthopädietechniker Felix Wellmer und dessen Firma Reha-Technik Wellmer und Schmidbauer die Möglichkeiten zu erforschen, wie moderne 3D-Technik diesen Prozess unterstützen und beschleunigen kann.

Autodesk forscht an moderner Prothesenbautechnologie

Inzwischen gibt es erste Ergebnisse, die Autodesk-Spezialisten scannten Frau Schindlers Stumpf und bearbeiteten die Scandaten zuerst mit Meshmixer und dann mit Autodesk Fusion 360, das mit seinen ausgefeilten Modellierfunktionen eine der klassischen Methode sehr ähnliche Arbeitsweise mit „Zupfen und Drücken“ ermöglicht. Ziel ist es, den Schaft schlussendlich im 3D-Druck zu erstellen und so den Gesamtprozess zu beschleunigen.

erklärt mir die Prothesentechnologie (Bild: Christoph Sahner)

Frau Schindler hob hervor, dass die Wiederholgenauigkeit der Daten ein wesentlicher Vorteil ist: „Oft geht es ja um ganz kleine Änderungen, die die Passform verbessern – etwas mehr Volumen für die Polsterung an einer Stelle, eine Anpassung des Ausschnitts an der Kniekehle. Wenn man dazu jedes Mal den kompletten Prozess durchlaufen muss – Gipsabdruck und Handarbeit inklusive – dauert das lange und es kostet zudem viel Geld. Eine Änderung am CAD-Modell und ein neuer 3D-Druck verkürzt den Prozess sehr und würde die Herstellung viel preiswerter machen.“

Der Job des Prothesentechnikers wird dabei nicht überflüssig – nach wie vor ist es dessen Expertenwissen, wie die unterschiedliche Beschaffenheit des Stumpfs bei der Polsterung und damit auch der Form des Schafts berücksichtigt werden muss. Er muss eben nicht immer wieder von vorn beginnen.

In einer beeindruckenden Beschreibung machte Schindler deutlich, dass es ihr nicht nur um sie als Leistungssportlerin geht, sondern um die breite Masse der Amputierten. Sie beschrieb, wie der Sport Freude und Selbstbestätigung in ihr Leben gebracht hat. Sie war noch zu Schulzeiten wenig an Sport oder dem Radfahren interessiert, doch als sie mit ernsthaft ins Training einstieg, zeigte sich schnell, dass die normale „Allzweckprothese“ für das sportliche Radfahren nicht geeignet ist.

Eine spezielle Sportprothese kostet nach Aussage von Schindler den Gegenwert eines Mittelklasseautos – ein Betrag, den sich der Breitensportler kaum leisten kann. So bleiben viele Menschen vom Sport ausgeschlossen. Denise Schindler und Autodesk hoffen, mit ihrem Projekt die individuell angepasste Prothese so preiswert zu machen, dass viel mehr Menschen in den Genuss einer solchen kommen.

Auf Rekordjagd in Apeldoorn – am Ende stand die Weltmeisterschaft (Bild: Pixolli Studios – Oliver Kremer).

 

Ich muss sagen, dass mich Denise Schindler tief beeindruckt hat. Sie versprüht eine Lebensfreude und Stärke, dass es ein großes Vergnügen ist, sich mit ihr zu unterhalten. Und ich bewundere die Ausdauer und Fokussierung, die sie hat – nicht nur auf dem Rad, sondern auch rein von der Organisation des Lebens her. Sie ist von der Hannover Messe praktisch direkt ins Trainingslager auf Mallorca gereist, um sich auf die Straßenrennsaison vorzubereiten. Das muss man sich ja – neben den Prothesen und der Radausrüstung – erstmal alles leisten können, und das in einer Sportart als Paracyclist, in der sicher nicht gerade viel Geld zu verdienen ist. Respekt.

Respekt auch für Autodesk, die hier ein tolles Projekt gefunden haben, in dem sie nicht nur ihre Produkte präsentieren können, sondern auch Menschen ganz konkret und nachhaltig helfen. Besonders schön finde ich hier, dass nicht nur die Einzelperson Denise Schindler – der ich das sehr gönne – profitiert, sondern dass am Ende des Projekts eine Veränderung des gesamten Prothesenherstellungsprozesses steht, der allen Menschen mit fehlenden Gliedmaßen zu Gute kommt. Und sicher wird es auch interessant sein, wie sich 3D-Modellierung und 3D-Druck in die noch sehr handwerklich geprägten Arbeitsabläufe des Orthopädietechnikers integrieren. EngineeringSpot wird dieses Projekt eng begleiten und ich werden immer wieder gerne darüber berichten.

Ein tolles Video hat auch die FAZ zu dem Thema gemacht, in dem Denise Schindler über die Herausforderungen, Prozesse un d Ziele des Projekts spricht.

 

 

 

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