Manchmal kommen Themen fast zwangsläufig auf den Schreiber zu, nach der Simulia-Konferenz letzte Woche und dem Formel-1-Rennen am Wochenende war ich schon im Grübelmodus, um dann gestern die neueste Spiegel Online-Kolumne von Sascha Lobo zu finden, die genau zu meinen Gedanken passte. Es geht darum, wie sehr man Daten und Simulationen glauben und vertrauen darf. Lobo nennt es Datenaberglaube.
Dominique Moreau von Airbus zeigte sich in seiner Keynote auf der Simulia-Konferenz überzeugt, dass man bald schon auf die Zerstörung des ersten Prototyps einer Flugzeugbaureihe verzichten kann und die physikalischen Belastungstest durch eine Simulation des gesamten Flugzeugs ersetzen kann. Das würde erhebliche Kosten einsparen und den Zertifizierungsprozess beschleunigen. Seitdem überlege ich, was mir mehr Vertrauen in ein Flugzeug geben würde: Das Wissen, dass der Flieger im wahrsten Sinn des Worts bis zum Zerbersten getestet wurde – oder eine Simulation, die vielleicht wesentlich mehr Lastfälle berücksichtigen und detaillierte Hinweise auf kritische Zonen geben kann.
Dann kam das Monaco-Rennen der Formel 1 am Sonntag. Monaco ist auf der einen Seite Kult, auf der anderen Seite eigentlich ein eher langweiliges Rennen – da der enge Stadtkurs kaum Möglichkeiten zum Überholen bietet, kommen die Boliden mehr oder weniger in der Reihenfolge der Startaufstellung ins Ziel. Nur die fast unvermeidlichen Unfälle und Boxenstops wirbeln das Feld durcheinander, in den meisten Rennen siegte der Pole-Position-Inhaber.
Simulation kann auch in die Irre führen
Der diesjährige Grand Prix war eine der Ausnahmen dieser Regel, nachdem Hamilton bis kurz vor dem Ziel, als durch einen Crash von Max Verstappen eine Safetycar-Phase ausgerufen wurde. Mercedes holte in einer nicht nachvollziehenden Aktion den Führenden zum Reifenwechsel in die Box. Hamilton kam als Dritter wieder auf die Strecke und konnte in den letzten Runden nicht mehr nach vorn kommen. Ergebnis: Rosberg, Vettel, Hamilton. Letzterer war so sauer, dass er nach der Siegerehrung seine Champagnerflasche schnappte und wortlos die Strecke verließ.
Was war passiert? Der Mercedes-Kommandostand hatte sich blind auf seine Simulationssoftware verlassen, die einen Vorsprung von 22 Sekunden zu Rosberg anzeigte, der in der Safetycarphase für den Boxenstop gereicht hätte. Rosberg und Vettel waren jedoch in Wirklichkeit nur 18 Sekunden entfernt und bei der Ausfahrt aus der Box musste sich Hamilton hinter seinem Teamkollegen und Sebastian Vettel einsortieren.
Auf Spiegel Online wird Mercedes-Teamchef zitiert: „Um regelmäßig Rennen zu gewinnen, ist es normalerweise besser, sich auf die Daten zu verlassen als auf das Bauchgefühl.“ Das zeigt den angesprochenen Datenaberglauben. Man hätte durchaus darauf kommen können, dass die von den Autos ausgesandten GPS-Positionen – die die Basisdaten für die Rennsimulation bilden – in den Straßenschluchten von Monaco weit ungenauer sind als auf anderen Rennstrecken, wo nichts die Signale stört. Lobo hat recht, wenn er sagt: „Der Fehler von Mercedes war, dass man sich ohne funktionierende Rückfallebene allein auf die Auswertung von Daten verließ.“
Jedem Simulationsprofi ist klar, dass Simulationen immer nur so genau sein können wie die Basisdaten beziehungsweise die Annahmen oder Randbedingungen. Doch immer wieder gerät diese einfache Regel aus dem Fokus der Menschen – Erkenntnisse auf Basis großer Datenmengen suggerieren oft eine „statistische Sicherheit“, die sie eben nicht bieten können.
Was tun wir nun mit dieser Erkenntnis? Steigen wir in den nächsten Airbus, auch wenn er „nur“ virtuell getestet wurde? Am Ende bleibt uns nichts anderes übrig, darauf zu vertrauen, dass die Konstrukteure und Simulationsspezialisten ihre Daten im Griff hatten, auch wenn es immer wieder Ereignisse gibt, die einen wieder ins Grübeln bringen, beispielsweise wenn ein A400M mutmaßlich deshalb abstürzt, weil die Software direkt nach dem Start drei von vier Triebwerken abschaltet.