Im März dieses Jahres erblickte ein neues CAD-System das Tageslicht: Mit Onshape stellte das gleichnamige Unternehmen die offizielle Betaversion des ersten professionellen CAD-Systems vor, das komplett in der Cloud läuft. Aufsehenerregend waren neben der konsequenten Umsetzung auch die Personen hinter Onshape: Jon Hirschtick, der SolidWorks mitgegründet hatte, scharte eine illustre Anzahl weiterer ehemaliger SolidWorks-Topmanager um sich, darunter seinen Nachfolger als SolidWorks-CEO, John McEleney, und David Corcorian, der dort Entwicklungsleiter war. Nach einer intensiven Betaphase wurde das System nun gestern offiziell aus dem Beta-Status entlassen.
Die Zahlen, die Jon Hirschtick zur Betaphase nennt, sind sehr beeindruckend: 400.000 Stunden Betatest durch über 10.000 Anwender in mehr als 150 Ländern. 4 Mio. Modellierfeatures wie Extrusionen, Aushöhlungen oder Verrundungen wurden definiert, 390.000 CAD-Dateien importiert und exportiert sowie 325.000 STL-Dateien für den 3D-Druck erstellt.
Dabei wurde das System während der Betaphase laufend weiterentwickelt, was sehr ungewöhnlich ist – normalerweise werden bei Software im Betastadium lediglich die gefundenen Bugs repariert, um nicht wieder neue Bugs zu produzieren. Die Betaphase ist damit „tote Zeit“ in der Weiterentwicklung des Systems. Bei einem Cloud-CAD-System, das nicht lokal installiert wird, sondern bei jedem Start die neuesten Funktionen einfach anbietet, gestaltet sich die Updatepolitik völlig anders: Statt jährlicher Updates und regelmäßiger Servicepacks können jeden Tag neue Funktionen und Verbesserungen eingespielt werden und stehen dann sofort zur Verfügung. Die Betaphase sah insgesamt 14 größere Releases mit über 125 neuen Funktionen und Verbesserungen – siehe auch nebenstehende Grafik.
Interessant ist auch der hohe Anteil mobiler Nutzung: Ein Sechstel der Onshape-Sessions liefen auf Smartphones oder Tablets – und dabei wurden nicht nur Modelle angesehen, sondern in vielen Fällen wirklich modelliert. Die Verfügbarkeit beziffert Hirschtick mit über 99,9 Prozent, und es seinen keinerlei Daten durch Crashes verloren gegangen – wie das funktioniert, habe ich hier beschrieben.
Offensichtlich gibt es auch schon eine Reihe von Firmen, die Onshape produktiv einsetzen – eine Liste der Firmen, die sich dazu bekennen, findet sich hier, aber ich gehe davon aus, dass eine weit größere Anzahl von Firmen schon Pilotprojekte gestartet hat, dies aber nicht öffentlich macht.
App Store in der Betaphase: Onshape präsentiert Zusatzapplikationen
Und damit es den Entwicklern und Anwendern nicht langweilig wird, hat Onshape gleich die nächste Betaphase gestartet – und zwar für den App Store. Hirschtick hat damit eines meiner größten Bedenken ausgeräumt, das ich in meinem Artikel im März genannt hatte: CAD ist heute keine Insel mehr, sondern eingebunden in eine ganze Entwicklungslandschaft, unter anderem mit Simulation, Visualisierung und vielen anderen Funktionen. Im App Store können nun Partnerunternehmen ihre Zusatzapplikationen anbieten.
Dabei gibt es drei Stufen der Integration von Applikationen: Integrated Cloud Applications sind direkt in Onshape integriert und werden in dessen Oberfläche bedient. Connected Cloud Apps laufen ebenfalls in der Cloud, aber in einem eigenen Browserfenster, sie tauschen Daten direkt zwischen den Fenstern aus. Bei Connected Desktop Apps handelt es sich um lokal installierte Lösungen, die über einen Connector live an die Onshape-Daten angebunden sind. Die Lieferanten entscheiden, welche Art von App sie zuliefern. Die Liste der aktuell vorhandenen Partner liest sich schon recht imposant:
Simulation: Fidesys, simulationHub, SimScale, Simsolid
CAM: CNC Software, MecSoft, Geometric
Rendering: Exocortex Technology, Luxion, migenius, Next Limit Technologies, OneRender, SimLab Soft
Content: TraceParts, SolidPartners
Design: ExactFlat, nPower Software
Import/Export: Driveworks, Pinshape, Prototech Solutions, Solveering
Productivity: Rusty Shed (Cloud-basierte Stundenabrechnung für CAD-Nutzung)
3D Printing: Materialise, CloudDDM
Eine Liste der Partner – die teils wohl noch nicht fertig sind mit ihren Apps, es sind einige in der Liste, aber nicht im App Store – findet sich hier.
Bei Onshape bleibt es spannend, das System entwickelt sich prima und in die richtige Richtung. Ich bin vor allem gespannt, wie sich Onshape viral verbreiten wird – es bietet sich ja förmlich als informelles Datenweitergabe- und Zusammenarbeitstool an, das sich schnell in Firmen einschleicht.