Dan Staples wird bei Siemens „Mr. Solid Edge“ genannt, und so war es auch er, der bei einer Online-Pressekonferenz die neue Version Solid Edge ST9 des Midrange-Systems vorstellte. Solid Edge ST9 steht unter den Überschriften „Cloudfähig – zu Ihren Bedingungen“, „Schnelle und flexible 3D-Modellierung“ und „skalierbares Datenmanagement“. Vor allem auf letzteren Punkt war ich gespannt.
Siemens fährt eine Cloudstrategie, die dem Käufer sehr viel Freiheit lässt. Man kann Solid Edge kaufen oder mieten und die Lizenzen an eine Maschine binden, in Netzwerk nutzen oder über die Cloud beziehen. Die Software läuft immer lokal, kann aber sowohl lokal als auch direkt in die Cloud speichern – und das mit automatischem File-Lock, es kann also auf Dateien in der Cloud immer nur ein Anwender zugreifen.
Solid Edge ST9 unterstützt Online-Speicherdienste wie Dropbox, One Drive, Google Drive und Box, was es ermöglicht, sehr einfach eine Zusammenarbeit zwischen mehreren Kollegen oder Standorten zu etablieren, ohne gleich eine PLM-Lösung aufbauen zu müssen. Staples hob hervor, dass die lokal installierte Solid Edge-Software in der Performance unabhängig von der Netzwerkverbindung ist und natürlich auch noch funktioniert, wenn kein Internet verfügbar ist – gerade in Deutschland ein sehr wichtiges Argument, wie ich finde.
Die Lizenz in der Cloud zu speichern ist allerdings eine interessante Idee. Denn dabei werden auf Wunsch auch die individuellen Einstellungen gespeichert, so dass man auf jedem Rechner, auf dem man Solid Edge ST9 installiert – beispielsweise Desktopworkstation und Laptop – dieselbe Bedienoberfläche und die passenden Einstellungen zur Verfügung. So kann man nahtlos im Büro und unterwegs arbeiten.
Solid Edge ST9 macht mit Tabs das Wechseln zwischen Dokumenten einfacher
Die Oberfläche hat Siemens PLM Software noch stärker an die Bedienphilosophie von Microsoft Office angelehnt und Tabs für Dokumente eingeführt, die es einfacher macht, zwischen mehreren Dokumenten zu wechseln – ähnlich wie man im Browser mehrere Websites parallel verwaltet. ST9 unterstützt nun auch hochauflösende Monitore wie 4k-Displays, bei denen die bisherigen Icons nicht mehr zu erkennen waren. Eine vereinfachte Oberfläche erleichtert Studenten den Einstieg in die 3D-Modellierung.
Letzten Oktober hatte ich das erste Mal über Catchbook berichtet, eine Tablet-App, mit der sich Skizzen sehr schnell und einfach erstellen lassen. Die Besonderheit an Catchbook ist, dass die Software freihand gezeichnete Kreise und Linien erkennt und automatisch glättet und rundet. Ideen lassen sich damit schnell und ordentlich dokumentieren. Diese Skizzen lassen sich nun auch in ST9 übernehmen und dort direkt zu 3D-Modellen weiterverarbeiten.
Natürlich meldet Siemens PLM Software auch wieder Neuerungen im Bereich der Synchronous Technology, also der Direktmodellierung. Die Zusammenarbeit zwischen ordered und synchronous Mode, also zwischen parametrisch aufgebauter und direkt modellierter Geometrie, wurde weiter verbessert, unter anderem in der Bearbeitung von Baugruppen und 3D-Skizzen. Im Blechbereich lassen sich nun mit Synchronous Technology Anschraubflansch an Blechen auf Basis der Kanten eines anderen Bauteils erstellen.
In der Freiformflächenmodellierung hat Siemens ein neues Werkzeug eingeführt, das komplexe Vertiefungen modelliert, indem ein virtuelles 3D-Werkzeug, beispielsweise eine Kogel, entlang eines Pfades durch das Modell geschoben wird. Den 3D-Druck von Modellen unterstützt Solid Edge, indem es Modelle an die 3D-Drucker-App 3D Builder in Windows 10 sendet.
Die Mustererzeugung wurde intelligenter und kann nun Muster auf Basis anderer Muster erzeugen, also beispielsweise wenn man Füßchen an einem Gehäuse mit Mustern erzeugt, passt sich später ein Muster der passenden Gummifüße an dieses erste Muster an.
In der Simulation wurde durch neue Vernetzungsalgorithmen eine Beschleunigung auf bis das Vierfache erreicht, die maximale Anzahl der Elemente wurde erhöht, so dass größere oder genauere Netze gerechnet werden können. Auch im CAM-Bereich gab es bei CAMworks Neuerungen, beispielsweise eine verbesserte Featureerkennung. CAM Express berücksichtigt Toleranzangaben beim Erzeugen der Werkzeugwege.
Datenmanagement eingebaut – ohne Datenbank, ohne SQL, ohne Installation
Das Datenmanagement in Solid Edge ist seit vielen Jahren ein Thema, für das Siemens PLMN Software aus meiner Sicht wenig Überzeugendes liefern konnte – zumindest, wenn man nicht gleich Teamcenter einführen wollte. Nun wurden Datenmanagementfunktionen direkt in Solid Edge eingebaut, die mir gerade wegen ihrer Einfachheit sehr gut gefielen – schließlich sind die durchschnittlichen Anwender von Solid Edge kleinere Unternehmen, die für die lästige Datenverwaltung keine großen Projekte aufsetzen möchten.
Nun integriert Solid Edge eine Suchfunktion für Modelle in den Windows-Explorer, die nach jeder Dateieigenschaft – also auch technischen Informationen wie Lieferant, Revision oder Material – suchen kann. Zudem ist eine Analyse, wo ein Bauteil eingesetzt wird, integriert. Die Datenverwaltung verhindert doppelte Dateinummer und bietet einen Nummerngenerator. Revisionen werden inklusive der verknüpften Zeichnungen automatisch erstellen. Mit dem Zusatzprogramm Design Manager lassen sich Revisionen und die Freigabe von Bauteilen und Baugruppen verwalten.
Und das alles ohne Installation und ohne Datenbank – für mich ist dies das Highlight der neuen Version. Das Datenmanagement arbeitet auch wie erwähnt mit verschiedenen Online-Speicherdiensten zusammen.
Doch auch wenn man sich für die Datenverwaltung in Teamcenter entschieden hat, bringt ST9 Neuerungen, am wichtigsten ist sicherlich die nahtlose Integration von Active Workspaces in Solid Edge. Zudem hat Teamcenter in der Solid Edge-Oberfläche ein eigenes Ribbon bekommen, um alltägliche Abläufe schneller zugänglich zu machen.
Für Wechselwillige bietet Solid Edge ST9 eine verbesserte Datenübernahme aus SolidWorks, so werden nun beim Import eines Modells auch verknüpfte Zeichnungen erkannt und mit importiert, der Import umfasst sehr viele Eigenschaften und Features von SolidWorks, unter anderem Konfigurationen, Verknüpfungen in Bauteilen und Baugruppen sowie Bohrungsfeatures. Es gibt sogar ein SolidWorks-Theme für die Solid Edge-Benutzeroberfläche. Ähnliche Tools existieren auch für Pro/Engineer, Creo und Inventor. Siemens greift also an.
Und dieser Angriffsmodus gefällt mir. Die neue Version zeigt an jeder Ecke, dass sich das System seit der UGS-Übernahme durch Siemens prächtig entwickelt. Synchronous Technology entwickelt sich ständig weiter und der Graben zur parametrischen Modellierung schließt sich. Mit der neuen, integrierten Datenverwaltung hat Siemens PLM Software eine offene Flanke geschlossen und mit den Migrationstools senkt das Unternehmen die Hemmschwelle für einen Systemwechsel. Chapeau für die neue Version.