Wie Ralf habe natürlich auch ich auf der PTC LiveWorx in Boston die News zu Windchill und Creo 4.0 vermisst. Die Veranstaltung stand, zumindest was die Keynotes und Vorträge im großen Saal des Convention Centers anbelangt, ganz im Zeichen des Internet of Things (IoT). Der zweite Tag machte da keine Ausnahme. Zum Glück gab es einige Breakout Sessions zu den klassischen PLM-Themen, sonst hätte man meinen können, PTC wolle seine PLM-Vergangenheit gänzlich verleugnen.
Dass dem nicht so ist, machte CEO Jim Heppelmann in der Q&A Session deutlich: Man lassen die IoT-Fähigkeiten in die CAD- und PLM-Produkte einfließen, denn IoT sei das PLM der nächsten Generation. Und auf meine Frage, ob man die Kunden nicht erst mal bei der Lösung der Probleme mit der aktuellen PLM-Generation, beispielsweise bei der Integration mit Application Lifecycle Management (ALM) unterstützen solle, weil das die Voraussetzung für die Entwicklung smart vernetzter Produkte sei, meinte der für das Lösungsgeschäft zuständige Group President Craig Hayman, dass ein Dutzend agiler Scrum-Teams fieberhaft an der Weiterentwicklung von Windchill und einer schnelleren Implementierung arbeitete. Die Ergebnisse werden wir aber erst im November auf der PTC Live in Stuttgart sehen wo ja dann auch die neue Creo-Version 4.0 vorgestellt werden soll.
Nein, PTC ist nach wie vor eine PLM Company. Alles andere wäre ja auch wirtschaftlicher Selbstmord, denn das Geschäft mit den 700 IoT-Kunden macht nur einen Bruchteil des Umsatzes aus, den PTM mit seinen 30.000 CAD- und PLM-Kunden erwirtschaftet. Im Übrigen waren auch rund zwei Rund zwei Drittel der über 4.000 Besucher der Liveworx in Boston noch in erster Linie an CAD und PLM interessiert. Wenn PTC trotzdem so viel Wirbel um das IoT macht, dann um sich in diesem vielversprechenden Markt frühzeitig als einer der Platzhirsche zu etablieren. Eine kluge Strategie, denn als IoT-Anbieter wird PTC erstmals auch in den Vorstandsetagen wahrgenommen, wie Heppelmann versichert. Die digitale Transformation ist eben Chefsache.
PTC Liveworx: Heppelmann und Porter arbeiten an Augmented Reality-Studie
A propos Wahrnehmung: Was die Anwendungsmöglichkeiten der Augmented Realität (AR) gerade in Verbindung mit dem IoT anbelangt, ist PTC geradezu „vuforisch“. AR sei die Antwort, um die Menschen in die Verschmelzung von digitaler und realer Welt zu integrieren, meinte Heppelmann. Er misst dem Thema so viel Bedeutung bei, dass er zusammen mit Michael Porter, Prof. der Harvard Business School, einen weiteren Artikel schreiben will, in dem er erklären wird, wie AR unsere Art Produkte zu entwickeln, zu warten und zu betreiben verändern wird.
Ehrlich gesagt, so richtig verstanden habe ich den Hype um das Thema erst bei meinem Einkaufsbummel durch Boston. Da habe ich nämlich bemerkt, wie schlecht die Menschen gerade in den einfacheren Berufen ausgebildet sind. AR wird ihnen die Erledigung komplexer Aufgaben wesentlich erleichtern. Einem gestandenen deutschen Wartungstechniker braucht man glaube ich nicht mit Hilfe einer Animation zu veranschaulichen, wie er einen Luftfilter in einem Stromerzeugungsaggregat auszutauschen hat.
Generell löst das IoT viele Probleme, von denen wir nicht mal ahnten, dass sie überhaupt existierten. Colin Angle, CEO der Firma iRobots, die einen staubsaugenden Roboter herstellt, erläuterte in seinem Vortrag auf der Hauptbühne der PTC Liveworx das Zusammenspiel von Robotern und IoT am Beispiel eines smart vernetzten Haushalts. Der autonome Staubsauger erstellt bei seiner aleatorischen Säuberungstour einen Plan der Wohnung, der die Grundlage ist, um smart vernetzte Glühbirnen und andere Devices in der Wohnung verorten zu können. Sie können dann automatisch ein- oder ausgeschaltet werden, wenn jemand den Raum betritt beziehungsweise verlässt. Braucht man das, fragte ich mich. Der Grundgedanke Angles ist aber absolut richtig: Mit der zunehmenden Vernetzung aller möglichen Geräte brauchen wir andere Wege als eine Smartphone-App oder einen Hub verschiedener Apps, um schneller oder besser noch automatisch mit den Geräten interagieren zu können.
Wo viel Licht ist, gibt es auch viel Schatten. Zu den Schattenseiten des Internets gehört die zunehmende Macht von Plattformen wie Amazon & Co., deren Marktkapitalisierung binnen weniger Jahre die von gestandenen Industrieunternehmen überstiegen hat, obwohl sie nichts produzieren als die direkte Vernetzung zwischen Anbieter und Nachfrager von Produkten und Dienstleistungen. Boston University-Professor Marshall W. Van Alstyne erläuterte in seiner interessanten Präsentation die Faktoren für den Erfolg dieser Plattformen, der zu einer zunehmenden Monopolisierung führt, die für die Freiheit der Marktwirtschaft nicht gerade vorteilhaft ist. Dies umso mehr wenn, das Risiko für die Interaktion auf Anbieter und Nachfrager abgewälzt wird.
Das ist aber eigentlich kein Problem des IoT, sondern der Art, wie wir damit umgehen. Zum Glück gibt es Gegenmodelle, die optimistisch stimmen. Schauspieler Joseph Gordon-Levitt, bekannt aus dem Film über Edward Snowden, stellte zum Abschluss des offiziellen Teils der PTC LiveWorx die Plattform HITRECORD vor, eine Plattform für die Online-Kollaboration bei der Filmproduktion und andern kreativen Projekte. Durch die uneigennützigen Beiträge vieler Teilnehmer ermöglicht sie die Realisation von Projekten, die sonst vielleicht nicht möglich wären. Einer der drei Säulen des Erfolgs ist eine angemessene Beteiligung der Kollaboration-Partner an den Erlösen, wenn sich das Projekt erfolgreich vermarktet. Absolut nachahmenswert.