Auf der internationalen Ausstellung für Metallbearbeitung AMB in Stuttgart trifft sich noch bis zum Samstag dieser Woche die internationale CAM-Szene. Bahnbrechende Neuigkeiten darf man in einer so reifen Branche nicht mehr erwarten, auch wenn es sicher die eine oder andere interessante Neuigkeit gibt. Zum Beispiel die Abwesenheit von PTC, die insofern überrascht, als der PLM-Hersteller seine Creo Manufacturing-Anwendungen vor kurzem runderneuert und funktional erweitert hat. Das hätte ich gerne mal live gesehen.
PLM-Konkurrent Siemens zeigt auf der AMB unter dem Motto „One Way to Industry 4.0“ seine integrierten Hard- und Softwarelösungen für die Digitalisierung der Fertigung, deren besondere Stärke die enge Verzahnung zwischen CAM-Software und Maschinensteuerung ist. Zu den Verbesserungen in der Sinumerik-Version 4.7 gehört z.B. die Top Surface-Funktionalität, die die Qualität von CAD/CAM/CNC-Oberflächen unabhängig von der Berechnungstoleranz der jeweiligen Software optimiert.
Auch CAD/CAM-Hersteller Autodesk, dem man in der Vergangenheit eine gewisse Fertigungsferne nachsagte, ist in Stuttgart gut sichtbar vertreten, um die 2017-Version seines „integrierten Portfolios für die Fertigungsindustrie der Zukunft“ vorzustellen. Integriert ist die CAM-Softwarefamilie, die durch die Übernahme von Delcam und HSM deutlich erweitert wurde, allerdings vor allem marketingtechnisch. Wie sie programmtechnisch mit Autodesk Inventor zusammenwachsen soll, um eine möglichst durchgängige CAD/CAM-Prozesskette aufbauen zu können, darüber ist in Stuttgart nicht viel zu erfahren. Dafür gibt es auf dem Stand aber ein interessantes Exponat in Anbindung an HSM zu sehen, nämlich die quasi für den Büroeinsatz taugliche Fräsmaschine DATRON neo mit einer intuitiven Bedienoberfläche, die diese Bezeichnung auch wirklich verdient.
Viele CAM-Hersteller zeigten in Stuttgart neue Software-Versionen oder kündigten sie an. So bringt Esprit demnächst eine 64 Bit-Version mit Office-ähnlicher Benutzeroberfläche auf den Markt, zu deren wesentlichen funktionalen Verbesserungen die Automatic Link-Funktion zählt. Warum sie so heißt, konnte ich nicht ergründen. Es geht im Wesentlichen darum, dass die Software das zu bearbeitende Bauteil einschließlich der Aufspannungen vor der Programmierung „abscannt“, so dass der Fräser oder Bohrer immer nur so weit wie unbedingt nötig zurückgezogen werden muss.
AMB: Industrie 4.0 ist unterschwellig immer dabei
Die neue Release der CAD/CAM-Software von Tebis bietet viele kleine Verbesserungen, die aber laut Hersteller deutlich Zeit sparen sollen. Neben der Verbesserung der Tools schenkt der deutsche Softwarehersteller der Prozessoptimierung wachsende Aufmerksamkeit, was sich beispielsweise daran ablesen lässt, dass die Consulting-Mannschaft des Unternehmens ihre Kunden in Werkzeug-, Modell- und Formenbau jetzt auch bei der Planung, Durchführung und Kontrolle von Projekten berät. Außerdem zeigt das Unternehmen die MES-Software seines Kooperationspartners ID GmbH, die dank der Unterstützung mobiler Endgeräte und Web-Services noch flexibler eingesetzt werden kann, um unternehmensübergreifende Industrie 4.0-Szenarien aufzubauen.
Der Begriff Industrie 4.0 ist in Stuttgart nicht so omnipräsent wie auf der Hannover Messe Industrie, was auf eine gewisse Ernüchterung hindeuten könnte. Der Eindruck täuscht jedoch, denn das Thema „Smarte Fertigung“ treibt fast alle Softwarehersteller um. So hat beispielsweite Missler-Vertriebspartner AdeQuate Solutions sein Produktproduktportfolio um die Shopfloor-Lösung toolflakes erweitert, die Maschinen-, Werkzeug- und Auftragsdaten höchst intelligent miteinander verknüpft. Gezeigt wird sie aber nicht auf dem Partnerstand von Missler, sondern auf den Gemeinschaftsstand der IndustryArena.
Auch CAM-Hersteller Exapt bietet seinen Kunden nicht mehr nur CAM-Software, sondern mit Exapt pdo eine Lösung für die Werkzeug-, Spann-, Mess- und Prüfmittelverwaltung mit leistungsfähigen Auswerte- und Reporting-Funktionen. Neu vorgestellt wird in Stuttgart ein smartes, webbasiertes Cockpit, mit dem der Anwender oder Fertigungsleiter sehr komfortabel durch die Fertigungsinformationen navigieren kann, und zwar nicht nur durch die der Exapt-eigenen Programme, sondern auch die in den angebundenen MES- oder ERP-Systemen. Eine interessante Anwendung, die mich an die Shopfloor-Lösung von MR Maschinenfabrik Reinhausen erinnert.
Erst mal Industrie 3.0 vollenden!
Die mit Blick auf die Digitalisierung und Prozessdurchgängigkeit interessanteste Neuerung stellte aus meiner Sicht Geometric vor. Die Tolerance Based Machining-Option der neuen CAMworks-Version bietet erstmals die Möglichkeit, Toleranzen, Bohrungsinformationen, Oberflächengüte, Form- und Lagetoleranzen und andere nichtgeometrische Fertigungsattribute, die als PMI (Product Manufacturing Information) am 3D-Modell hängen, auszuwerten und für die CAM-Programmierung heranzuziehen. Die Option funktioniert allerdings nur im Zusammenspiel mit SolidWorks und unter Nutzung der API des CAD-Systems.
Interessant ist die Nutzung von PMIs vor allem mit Blick auf die zeichnungslose Fertigung. Bei der Übergabe von CAD-Daten aus Fremdsystemen gehen die in den Features enthaltenen Fertigungsinformationen nämlich verloren, weshalb sie üblicherweise per Zeichnung kommuniziert werden. Deshalb fragte ich spaßeshalber noch bei ein paar anderen CAM-Herstellern nach, ob und in welcher Form ihre Systeme PMIs importieren können. Zu meiner Überraschung wussten die meisten nicht mal mit dem Begriff PMI etwas anzufangen. Wenn überhaupt, nutzen sie die Farbkodierungen der Bauteile, um zum Beispiel die Oberflächengüte oder die Eigenschaften einer Gewindebohrung zu übergeben.
In den CAD/CAM-Prozessketten der Kunden – das zeigten fast alle Gespräche – klaffen immer noch große Lücken. Wir treten, mit anderen Worten, die vierte industrielle Revolution der intelligent vernetzten Fertigung los, bevor wir die Automatisierung der Fertigungsprozesse im Sinne von Industrie 3.0 vollendet haben. Ob das um Erfolg führen wird, wage ich zu bezweifeln.