Eigentlich ist es ja abstrus: Da arbeitet man am digitalen Zwilling, der möglichst alle Eigenschaften des realen Produkts enthält, erzeugt komplexeste dreidimensionale Formen – und tut dies auf zweidimensionalen Oberflächen, dem Bildschirm und dem Mousepad. Auch mit mehreren großen Monitoren wird man nie in die Welt seines Produkts hineintauchen können. Welcher Konstrukteur hat sich da nicht schon einmal eine 3D-Brille gewünscht, mit der man direkt in den dreidimensionalen Raum versetzt wird und sein Modell umkreisen oder sogar interaktiv mit den Händen manipulieren kann? Moderne Virtual Reality-Technik erlaubt uns einen Blick in die Zukunft.
Im März 2014 kaufte Facebook für zwei Milliarden Euro das VR-Brillen-Startups Oculus Rift – das brachte das Thema virtuelle Realität erstmals so richtig in die Öffentlichkeit. Inzwischen haben Oculus Rift, Samsung und HTC Brillen auf den Markt gebracht, Google zeigte mit Cardboard, dass mit einem Pappgestell, zwei Linsen und einem Smartphone durchaus ein immersives Erlebnis möglich ist.
Wenn es darum geht, reale Welt und digitale Inhalte miteinander zu verbinden, spricht man von Augmented Reality (AR), der angereicherten Realität. Die Umsetzung von AR ist wesentlich schwieriger als der komplette Wechsel ins Virtuelle – schließlich müssen die künstlichen Inhalte extrem passgenau in die reale Umgebung eingepasst werden, damit ein natürlicher Eindruck entsteht. Microsoft arbeitet mit dem Projekt Hololens daran und hat auch schon interessante Videos dazu veröffentlicht.
So verlockend es aussieht, wenn man direkt am Produkt zupfen und modellieren kann – es wird doch noch einige Zeit dauern, bis die ersten Produkte in Virtual Reality entwickelt werden. Größtes Hindernis dürfte dabei die sogenannte Simulatorkrankheit sein, die viele Menschen nach einiger Zeit der VR-Nutzung befällt – die c’t hat in Ausgabe 13/2016 darüber geschrieben.
Auslöser der dabei auftretenden Übelkeit ist die Diskrepanz zwischen der Bewegung, die die Augen sehen, und den Messdaten der übrigen Sinne, beispielsweise des Gleichgewichtorgans. Da beim Arbeiten an einem feststehenden Objekt, wie es beim CAD der Fall ist, relativ wenig Bewegung im Spiel ist, könnte dieses Problem kleiner sein als in VR-Spielen – man wird allerdings beim Zoomen und Rotieren aufpassen müssen. Nichtsdestotrotz wird es einen bestimmten Anteil von Menschen geben, die von der Virtual Reality-Nutzung völlig ausgeschlossen sind.
Zweites Hindernis ist die Benutzeroberfläche – man wird mit Controller und Finger nie sehr genau arbeiten können. Wenn es darum geht, Geometrie sehr genau zu definieren und zu platzieren – wie es beim Konstruieren Alltag ist – ist der Mauszeiger einfach extrem präzise. Allerdings – denkt man beispielsweise an Siemens Catchbook, das beim Zeichnen errät, was der Anwender zeichnen möchte und aus handgezeichneten Kreisen und Linien mathematisch saubere Elemente erzeugt, ist dies nur eine Frage der Intelligenz der Programmoberfläche. Ein Video auf Twitch zeigt, wie Spieleentwickler in Zukunft in der virtuellen Realität VR-Spiele entwickeln.
Die Unreal Engine 4 VR, die im Video präsentiert wird, stellt eine interessante Oberfläche zur Verfügung, die wie ein Tablet funktioniert – das ist schon eine sehr praktikable Oberflächenphilosophie für VR – oder auch für AR. Im nächsten Video zeigt Google beim Malprogramm Tilt Brush einen Werkzeugkasten, der einer mehreckigen Palette ähnelt – auch ein interessanter Ansatz für eine Benutzeroberfläche.
Die Probleme sind also lösbar und ich bin sicher, dass wir in naher Zukunft erste Ideen und Prototypen dazu sehen werden. Für mich besonders interessant: eines der größten Probleme bei der CAD-Modellierung ist, dass man keine echte Rückmeldung über die Größenverhältnisse hat – das dürfte bei VR anders sein. Oder wird das noch zum Problem, wenn der Entwickler zum Chef kommt und sagen muss: „Ich kann an dem Kranausleger nicht weiterarbeiten, ich habe Höhenangst!“
Hallo! Denkt man das Thema VR vor dem Hintergrund von Industrie 4.0, drängt sich für mich die Frage auf, ob der Anwender letztlich nicht sogar selbst in die CAD-Modellierung eingreifen kann. Viele Grüße – M.März