Auf der Siemens PLM Connection 2017 besuchte ich eine der beiden Session zu den Neuerungen von NX12. Die zweite Session konnte ich leider nicht besuchen, aber die Neuerungen, die ich mitbekommen habe, waren schon sehr interessant – und von Joe Bohman, Senior Vice President, Lifecycle Collaboration Software bei Siemens PLM Software spannend vorgetragen. Zu meinen ganz subjektiven Highlights zählten die Facettendatenbearbeitung und die Erzeugung von Gitterstrukturen, aber auch die Verbindung von Mechanik und Elektronik.
„STL passt nicht zu CAD“, hatte Marketing Director NX Peter Scheller im Interview gesagt. Im STL-Format – sowie in anderen facettenbasierten Formaten oder Punktewolken – wird die Geometrie völlig unstrukturiert gespeichert, jedes Dreieck der Geometrieoberfläche steht für sich alleine und hat keine Beziehung zu den anderen Dreiecken. Die Daten nebeneinanderliegender Dreiecke müssen nicht einmal nacheinander in der Datei liegen. Deshalb existieren auch keine Kanten und Ecken im STL-Format, denn diese werden ja von zwei oder mehreren Dreiecken gebildet. Das ist der Grund, warum STL-Dateien in CAD-Systemen bisher zwar visualisiert, aber nicht referenziert werden konnten.
Damit hat Siemens nun aufgeräumt und Algorithmen entwickelt, die Facettendaten „CAD-passend“ machen. Diese haben unter dem Namen Convergent Modeling Einzug in den Parasolid-Kernel gefunden – deshalb profitieren auch Solid Edge und übrigens auch Mitbewerber wie SolidWorks – von der neuen Technologie. Die Umsetzung in NX12 ist allerdings meisterhaft. Bohman und sein Kollege zeigten in einer Live-Demo ein Rohrstück mit mehreren Flanschen, das sie dann in die Topologieoptimierung schickten. Das Ergebnis dieser Optimierung ist ein Facettenkörper mit den typischen „bionisch“ runden Formen.
Bohmans Kollege markierte eine O-Ring-Nut und die Unterseite eines Flansches mit den Bohrlöchern aus dem CAD-Modell und zog diese mit der Maus auf den Facettenkörper. Dort wurden sie nahtlos in die Geometrie integriert, der zunächst „rundliche“ Flansch erhielt die wichtigen parallelen Flächen auf Vorder- und Rückseite und saubere Bohrungen. Am Ende schrägte der Anwender die Kante eines anderen Flansches im STL-Modell noch mit einer Fase ab. Das habe ich so noch nie gesehen: STL-Bearbeitung in ihrer spektakulärsten Ausprägung – nicht mit speziellen Facettenwerkzeugen, sondern mit den ganz normalen CAD-Funktionen..
Danach ging es mit Lattice- beziehungsweise Gitterstrukturen weiter. Der 3D-Druck macht es möglich, Bauteile intern hohl oder eben mit einer dreidimensionalen Gitterstruktur zu versehen – dies spart bei gleicher oder ähnlicher Belastbarkeit Material und macht die Teile leichter. Ein interessanter Vortrag der EDAG zeigte am Vormittag, wie 3D-gedruckte Knoten mit Gitter-Innenstruktur für den Aufbau eines Gitterrohrrahmens genutzt werden können.
Zudem lassen sich durch eine clevere Gestaltung der Gitterstruktur die Materialeigenschaften beeinflussen, beispielsweise kann ein Bauteil in verschiedenen Bereichen unterschiedlich steif ausgeführt werden, indem die Dichte des Gitters variiert wird. Der Nachteil solcher Gitterstrukturen im CAD-System: Sie benötigen, wenn sie in „echter“ CAD-Geometrie modelliert werden, extrem viel Rechenleistung. Deshalb werden die Lattices üblicherweise als STL-Datei eingefügt.
Doch dann sind wir wieder beim obigen Problem: Bisher war es unmöglich, die STL-Gitterstruktur zu bearbeiten, um sie in einen Hohlraum einzupassen. Wiederum ist das in NX dank Convergent Modeling kein Problem: Zuerst definiert man die gewünschte Gittergeometrie und -größe, dann den Bauraum, in den das Gitter eingepasst werden soll. NX12 liefert eine große Vielfalt von Gittergeometrien mit, die die verschiedensten Einsatzzwecke und Belastungen abdecken. Das Gitter kann sogar einer Fläche folgen, in einem gebogenen Hohlraum laufen die Streben auf Wunsch entlang der Biegung. Der Clou: In der NX-eigenen Simulation werden die Gitterelemente automatisch als Beam und Rod erkannt und entsprechend berechnet.
In Sachen Mechatronik haben die NX-Entwickler einige interessante Verbindungen geschaffen. Der neue P&ID Designer ermöglicht es, zunächst einen intelligenten 2D-Schaltplan einer Hydraulik- oder Pneumatikinstallation aufzubauen und diesen mit dem 3D-Modell zu verknüpfen – Änderungen werden bidirektional ausgetauscht. Ein Modus für die Kabeldefinition, der ähnlich komfortabel ist, ist bereits in der Entwicklung, hat es allerdings nicht ins aktuelle Release geschafft.
Eine weitere Verknüpfung wurde zwischen Mentor Capital Design und NX12 geschaffen – beide Programme erhielten einen „Connect“-Button, der eine Live-Verbindung zwischen PCB-Design und NX-Modell herstellt. Das geht soweit, dass beim Markieren eines Bauteils im PCB-Design die entsprechenden 3D-Modelle hervorgehoben werden und umgekehrt – optimal für Designmeetings.
Apropos Release: NX12 soll laut Siemens PLM Software das letzte reguläre Release dieser Software sein. Keine Panik, das System wird nicht vom Markt genommen, Siemens stellt lediglich auf eine Rolling Release-Strategie um: Neuerungen werden sofort als Update veröffentlicht und nicht erst im Rahmen eines großen Jährlichen Releasewechsels – ganz ähnlich wie dies Microsoft mit Windows 10 eingeführt hat. Per Update-Pushfunktion werden Aktualisierungen in der gesamten Userbasis eingespielt. Dies widerspricht natürlich der in vielen Unternehmen üblichen Vorgehensweise, erst einmal abzuwarten, bis sich ein Release bewährt hat. Und auch langwierige Zertifizierungen machen keinen Sinn mehr, wenn sich die Software laufend verändert. Es wird sicherlich Lösungen für diese Fälle geben, ich werde nachliefern, wie diese Fälle gehandhabt werden.