Der neueste Trend im Simulationsbereich ist die gitterlose Simulation. Irgendwie hat es Ansys geschafft, die mühsame und fehlerträchtige Vernetzung, die die herkömmliche Simulation so aufwendig macht. Hinzu kommt, dass die neue Technologie offensichtlich alle Grenzen der Rechengeschwindigkeit, wie man sie bisher kannte, sprengt. Mit Discovery Live hat Ansys ein extrem interessantes Tool für die Konzeptfindung entwickelt. Im letzten September habe ich erstmals über das System berichtet, das damals noch in der Betaphase war. Zur jetzt erfolgten Veröffentlichung lud Cadfem letzte Woche einige Journalisten nach Grafing ein, um diesen die neue Software näherzubringen.
Es erstaunt mich immer wieder, wie selten Simulation im Entwicklungs- und Konstruktionsprozess genutzt wird. Sogar in Unternehmen, die Simulationswerkzeuge eigentlich zur Verfügung haben, beispielsweise wenn sie Premiumlizenzen von SolidWorks einsetzen, höre ich bei meinen Firmenbesuchen immer wieder, dass man ja eigentlich gerne simulieren würde, aber einfach keine Zeit dazu hat. Mir kommt da immer die Alte Geschichte vom Holzfäller in den Sinn: Dieser hackt einen großen Haufen Holz, was mit der stumpfen Axt sehr mühsam und langsam vor sich geht. Als er gefragt wird, warum er die Axt nicht schärft, sagt er, dass er dafür keine Zeit habe.
Bei der Simulation ist es ganz ähnlich, sie erspart viel Arbeit und Zeit, kostet eben aber auch etwas Einarbeitungszeit. Die verschiedenen Anbieter suchen schon seit Langem nach Wegen, diese Hürde zu verringern. Ansys hat sich jetzt etwas ganz Neues einfallen lassen und aus dem Direktmodellierer SpaceClaim und einem neuartigen mathematischen Simulationsansatz ein neues Produkt gemixt, das vor allem in der Konzeptphase eine große Hilfe sein kann. Da die GPU-basierte Berechnung von Grund auf neu entwickelt und mit der Modellierung eng verzahnt wurde, erreichte Ansys eine fast unglaubliche Berechnungsgeschwindigkeit.
Marc Vidal, Business Development Manager von Cadfem, der Discovery Live präsentierte, zeigte als Beispiel einen Haken, der innen eine 3D-Druck-typische Gitterstruktur besaß. Das Ergebnis einer Festigkeitsberechnung auf der STL-Datei mit 3,3 Millionen Dreiecken dauerte keine acht Sekunden – berechnet auf einem HP ZBook 15. Voraussetzung für die Nutzung von Discovery Live ist eine Nvidia-Grafikkarte mit mindestens vier GByte Speicher. Leistungsstärkere Hardware verbessert die Ergebnisse weiter.
Es war wirklich beeindruckend, wie Vidal am Modell eines Fahrradrahmens herumdrückte, Rohre dicker machte oder mit einem Knick versah und sich quasi in Echtzeit die Belastungen am Rahmen abzeichneten. Hier trifft die Modellierfreiheit von SpaceClaim auf extrem schnelle Berechnung – übrigens nicht nur von Festigkeiten, sondern auch von Strömungen und Temperaturen. Verblüffend ist auch, dass die Komplexität der Geometrie keinen signifikanten Einfluss auf die Rechengeschwindigkeit hat – Vidal zeigte eine Strömungsberechnung anhand eines Stadtmodells der Frankfurter Innenstadt.
Wir diskutierten auch noch, warum sich Discovery Live nur für die Konzeptphase positioniert wird und nicht auch breiter, beispielsweise für die Konstruktion. Dafür spricht aus Ansys-Sicht sicherlich, dass Discovery Live ein völlig neues System ist, das in der Konzeptphase weniger störenden Außeneinflüssen ausgesetzt ist, beispielsweise den Anforderungen anderer Bausteine der Prozesskette. Zum Beispiel reichen hier die umfassenden Importfilter von SpaceClaim, um zu optimierende Geometrien zu laden und zu berechnen. Würde ein iterativer Prozess gefordert, der neben Discovery Live ein anderes CAD-System involviert – nämlich dasjenige, das in der Konstruktionsphase verwendet wird – wären Nativschnittstellen notwendig, die die Intelligenz des CAD-Modells bewahren. Dies wiederum widerspricht der engen Verzahnung von Simulation und Direktmodellierer. Ansys bietet hier AIM, das bidirektional mit dem CAD-System verbunden werden kann, aber wiederum auf einem herkömmlichen Solver basiert. Discovery Live deckt auch nur einen bestimmten Bereich der Simulation ab, eine Lagerberechnung wäre mit dem System beispielsweise nicht möglich.
Wichtigstes Argument: In der Konzeptphase ist der positive Effekt am größten, denn hier geht es ganz grundlegend darum, das optimale Grundkonzept zu finden. Optimierungssysteme, die mit Lösungsräumen arbeiten und beispielsweise im „großen“ Ansys-Paket verfügbar sind, gehen nach rein statistischen Methoden vor. Oder sie benötigen exakte Vorgaben, unter deren Berücksichtigung sie dann besonders steife oder besonders effiziente Geometrien finden. Mir gefällt an der Lösung, dass es gerade nicht darum geht, den Entwickler aus dem Prozess herauszuziehen. Generative Design degradiert den kreativen Entwickler meiner Meinung nach zum einen Daten- und Zahlenlieferanten. Hier ein Festlager, dort eine Kraft, bitte rechnen.
Ein Discovery Live läuft es genau andersherum: Der Entwickler knetet und formt eine Lösung, und die Software zeigt ihm dann, wie gut seine Lösung ist und wo deren Schwachpunkte liegen. So kann der Entwickler seine Kreativität voll ausspielen und hat jederzeit Rückmeldung, ob er auf dem richtigen Weg ist.
Discovery Live ist wie ein Skizzenblock, in dem man seine Ideen niederlegt – nur dass dieser Skizzenblock sofort die physikalischen Verhältnisse am Modell zurückliefert. Wir Journalisten waren uns einig, dass die Unterstützung von sehr großen Touchscreens ideal wäre – dann könnten die Entwickler wie an einem Whiteboard ihre Ideen entwickeln und testen. Ich bin gespannt, was sich Ansys in Zukunft einfallen lässt.
Die Lizenzierung von Discovery Live macht es für den breiten Einsatz im Unternehmen interessant. Kostet eine Einzelplatzlizenz noch 3.600 Euro pro User und Jahr, so sind es beim Zehnerpack nur noch 2.160 Euro. Damit kostet Discovery Live halb so viel wie AIM, wobei ersteres in letzterem enthalten ist. AIM-Nutzer können also ohne weitere Kosten Discovery Live nutzen.
Cadfem betreibt ein On-Demand-Testsystem, auf dem man die neue Software auch ohne Nvidia-Hardware testen kann, Testversionen sind derzeit ebenfalls erhältlich. Auf der Cadfem-Webseite gibt es neben weiterführenden Infos ein Video, in dem „zehn Varianten in zehn Minuten“ erzeugt werden.