Vor einigen Jahren wäre ich mir sicher gewesen, dass ich eine Pressemitteilung wie die, die Dassault Systèmes kürzlich verschickt hat, nie lesen werde: Kärcher verlegt seine Produktentwicklungsprozesse in die Cloud, genauer gesagt auf die 3DExperience Plattform. Wenn solch ein namhaftes, großes Unternehmen mit einer Produktpalette, die für Fälscher sehr interessant ist, diesen Schritt tut – und Kärcher ist da ja nicht alleine – ist es höchste Zeit für eine Neubewertung.
Hier zur Einstimmung die Pressemitteilung im Original:
STUTTGART/VÉLIZY-VILLACOUBLAY, Frankreich — 22. Februar 2018 — Dassault Systèmes (Euronext Paris: #13065, DSY.PA), gab heute bekannt, dass Kärcher, der weltweit führende Anbieter für Reinigungstechnik, die 3DEXPERIENCE Plattform einsetzen wird. Ziel des Familienunternehmens ist es, seine bestehenden Prozesse weltweit digital zu transformieren, um effiziente, ressourcenschonende Reinigungssysteme, Produkte und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen.
Kärcher wird dabei auf die Branchenlösung „Single Source for Speed“ basierend auf der 3DEXPERIENCE Plattform vertrauen. Damit kann das Unternehmen seine Produktentwicklungsprozesse integrieren, die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch für bis zu 1.200 Mitarbeiter verbessern und die Kosten für Produktentwicklung und Fertigung senken.
„Zuerst planten wir, die 3DEXPERIENCE Plattform als On-Premise-Lösung einzusetzen, um die Leistung, Innovation und Qualität unserer Marke zu stärken. Nachdem wir den Wert und die Vorteile der 3DEXPERIENCE Plattform in der Cloud für unser Geschäft gesehen haben, haben wir uns eindeutig für die Cloud entschieden“, sagte Michael Stritzelberger, Executive Vice President Central Research & Development bei Kärcher. „Wir unterstützen damit unsere unternehmensweite Strategie der digitalen Transformation in die Cloud und steigern gleichzeitig die Flexibilität und Agilität, um Innovationen für unsere Kunden voranzubringen.“
Nach dieser ersten Phase beabsichtigt Kärcher, den Einsatz der 3DEXPERIENCE Plattform von Dassault Systèmes weiter auszubauen und einen digitalen Zwilling für die Systemanalyse, die Konfiguration und die Fertigung sowie den Kundendienst und das Verpackungsdesign zu schaffen.
„Erfolgreiche Unternehmen im Anlagen- und Maschinenbau müssen in der Lage sein, Qualitätsprodukte nach Kundenwunsch zu definieren und zu fertigen und weltweit Service-Leistungen in Rekordzeit zu bieten – trotz zunehmender Konkurrenz, Komplexität und Kosten“, sagte Philippe Bartissol, Vice President Industrial Equipment Industry bei Dassault Systèmes. „Die 3DEXPERIENCE Plattform ist für Unternehmen jeder Größe geeignet, die eine digitale Umgebung für die Konstruktion und Simulation, das Fertigungs- und Service-Engineering sowie die Entscheidungsfindung suchen, um genau dies zu ermöglichen.“
Kärcher – so verrät die Pressemitteilung zum Schluss – erwirtschaftete 2017 einen neuen Rekordumsatz von 2,5 Milliarden Euro und beschäftigt über 12.300 Menschen in 67 Ländern. Kärcher setzt schon seit längerem die Konstruktions- und Engineering-Anwendungen von Dassault Systèmes ein, die von seinem Partner Cenit implementiert wurden.
Besonders interessant finde ich die Passage über On-Premise- und „echte“ Cloud. Ich war bisher der Meinung, dass sich Unternehmen, die Wert auf hohe Datensicherheit legen, durchaus mit cloudbasierter Software arbeiten werden, aber diese eben „on premise“, also auf eigenen, internen Servern, laufen lassen, um die Daten unter eigener Kontrolle zu haben.
Aber das ist vielleicht eine veraltete Logik, eine Logik von Menschen, die physikalischen Besitz brauchen. Ich gebe zu, ich bin einer der Menschen, die Musik-CDs kaufen, die dann rippen, ins Regal stellen und dann nie wieder abspielen, weil das Hören auf dem MP3-Player viel bequemer ist. Ich gebe sogar zu, dass ich als MP3 gekaufte Musik auf CD brenne – als Sicherheitskopie. Die heutigen Digital Natives dagegen nutzen einen Streamingdienst – ihnen ist schlicht der Besitz an sich egal.
Das wird natürlich im Falle von Kärcher nicht der Fall sein, das Unternehmen ist darauf angewiesen, dass seine Produktdaten geschützt sind. Doch denken wir das Thema Cloud und Plattform einmal mit etwas Abstand durch – was ist denn die Intention hinter diesen Überlegungen?
- Die Unternehmen wollen alle Prozesse und Daten in einem System haben – man nenne es Single Source of Truth, Digitaler Zwilling oder wie auch immer.
- Sie wollen, dass jeder Berechtigte Zugriff auf alle Daten und Prozesse hat, die er für seinen Job braucht. Und diese Daten müssen immer aktuell sein.
- Alle am Prozess Beteiligten müssen angeschlossen werden, das betrifft vor allem externe Mitarbeiter und Lieferanten. Dabei muss gewährleistet sein, dass diese nur das sehen, was sie sehen sollen.
- Zugriff von überall her.
- Sie wollen eine effiziente, schrankenlose (im Sinn von abteilungsübergreifend, siloübergreifend) Kommunikation ermöglichen, die dokumentiert und nachvollziehbar ist.
- Alle Abläufe sollen nachvollziehbar und möglichst wiederverwendbar sein.
- Der IT-Aufwand soll möglichst gering sein.
- Natürlich ist die Sicherheit nach wie vor eine Top-Priorität.
Diese Anforderungen lassen sich nur mit einer Cloud- beziehungsweise Plattformarchitektur umsetzen. Nur damit ist es möglich, externe wie interne Beteiligte auf einer immer aktuellen Datenbasis zusammenzuschließen. Die Verflechtung und die Arbeitsteilung zwischen Unternehmen wird immer enger. Deshalb ist es wichtig, den Externen die notwendigen Daten und damit auch die für die Betrachtung und Bearbeitung notwendigen Werkzeuge zu liefern – und das lässt sich nun einmal am elegantesten im Browser lösen.
Wenn man so weit ist und entscheiden muss, ob man die Cloud im Haus oder bei einem Dienstleister wie Dassault Systèmes aufsetzt, wird schnell klar: Das Unternehmen muss sein Netzwerk nach außen öffnen, damit Externe oder eigene Mitarbeiter an anderen Standorten auf die Anwendung zugreifen können. Wenn ich aber gedanklich so weit bin, den Zugriff von außen zuzulassen, ist der Schritt nicht mehr weit, die komplette Plattform nach außen zu geben.
Den der Betrieb einer solch komplexen Plattform, deren Absicherung und Pflege ist sicherlich alles andere als trivial und bringt keinen Mehrwert. Ziemlich sicher ist eine IT-Mannschaft, die sich einzig und allein um diese Plattform kümmert, effizienter und bei Bedrohungen besser aufgestellt als eine Inhouse-IT. Der physikalische Besitz eines Datenträgers ist keine Sicherheit – diese hängt von ganz anderen Kriterien ab und ist eng an die Zugänglichkeit geknüpft. Denkt man noch einen Schritt weiter, sind solche physikalisch zugänglichen Daten sogar gefährlicher als diejenigen in der Cloud – Der Datendiebstahl mittels USB.-Stick oder der Verlust, wenn ein Laptop liegengelassen wird, ist wahrscheinlicher als der unbefugte Zugriff auf eine gut gesicherte und mit sauberer Rechtevergabe selektiv zugängliche Cloudplattform. Es gibt schlicht keine Datei mehr, die man herunterladen und stehlen kann.
Hat man sich einmal von dem Gedanken verabschiedet, dass Daten sicher sind, nur weil man einen physikalischen Datenträger in der Hand, im Tresor oder im eigenen Rechenzentrum hat, spricht nichts mehr gegen die Cloud – dann ist sie einfach nur logisch.
Muss ich zugeben – so schwer es mir auch fällt. Ich bleibe bei der CD.