Einer der Sprecher nannte das Prostep iViP Symposium die „Schweiz der PLM-Branche“. Die Anspielung auf die Neutralität des Alpenstaats stimmt: Nirgendwo sonst treffen sich die Vertreter der Systemhersteller, die PLM-Verantwortlichen vieler großer Unternehmen und die Spezialisten aus Forschung und Lehre, um zwei Tage konzentriert über die Zukunft der digitalen Produktentwicklung zu sprechen, aber auch um zu feiern und wertvolle Kontakte zu knüpfen.
Der Prostep iViP-Verein wurde im Jahr 1993 gegründet, um die Anstrengungen der Industrie zur Entwicklung zukunftsweisender Lösungsansätze und Standards für das Produktdatenmanagement und die virtuelle Produktentstehung zu bündeln. Namhafte IT-Manager von BMW, Bosch, Continental, Daimler, Delphi, Opel, Siemens, Volkswagen und 30 weiteren Unternehmen hatten erkannt, dass die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen maßgeblich von der Entwicklung moderner Verfahren für effizientes PLM bestimmt sein wird.
Ausgangspunkt war die gemeinsame Entwicklung des Datenformats STEP (ISO 10303). Seit 2003 ist die integrierte virtuelle Produktentstehung (iViP) eines der Vorreiterthemen. Bis heute ist es ein wesentliches Anliegen des Prostep iViP Vereins, für seine Mitglieder neue Ansätze der durchgängigen Prozess-, System- und Datenintegration zu entwickeln und alle Produktentstehungsphasen digital zu unterstützen. Inzwischen sind 179 Firmen, Institute und Hochschulen Mitglied des Vereins.
Entsprechend gab es ein erfolgreiches 25-jähriges Jubiläum zu feiern, was schon am Vorabend des Symposiums gebührend gefeiert wurde. Die ehemalige Flugmotorenhalle von BMW und heutige Heimat der BMW Classic bildete einen feierlichen Rahmen für die Veranstaltung.
Am 18. April ging es dann mit dem Kongressprogramm los. 700 Teilnehmer – 100 mehr als letztes Jahr – aus 21 Ländern erfuhren in einer intensiven Keynote von Klaus Straub, CIO der BMW Group, vor welchen Herausforderungen die digitale Produktentwicklung steht. Die Produkte verändern sich radikal die Märkte beschrieb Straub als VUCA – Volatile (launisch), Unpredictable (unvorsehbar), Complex (komplex) and Ambiguous (unklar). Klar ist, dass die neue Autogeneration connected ist – BMW hat schon heute 7 Mio. vernetzte Fahrzeuge im Markt, in drei Jahren sollen es 15 Mio. sein.
„Agile“ ist ein Zauberwort, das sich auch durch viele Vorträge des weiteren Tags zog. Die aus der Programmierung stammende Entwicklungsphilosophie soll nicht nur in der Softwareentwicklung die Time to Market verkürzen, sondern auch in der mechanischen und elektrischen Konstruktion. Dass die aktuellen Prozesse einer einfachen Umstellung der Prozesse auf Agile entgegenstehen, zeigte sich in den interessanten Vorträgen im Raum 2, in dem ich moderieren durfte. Thomas Holler von Porsche und Jochen Boy von der Prostep AG zeigten beispielsweise, wie Porsche gemeinsam mit einigen anderen Automobilherstellern und Zulieferern daran arbeitet, die Terminplanung in Projekten in einer gemeinsamen Sprache zu beschreiben. Dies wiederum soll ermöglichen, Terminplanungen über mehrere Stufen einer Lieferkette hinweg zu synchronisieren.
Dr. Andreas Nordgren von BMW lieferte einen besonders vergnüglichen Vortrag ab, in dem er die Geschichte des Fernsehens in der schwedischen Familie Nordgren mit dem Aufbau einer LM-Lösung für ein chinesisches Joint Venture-Unternehmen verglich.
Den Abschluss des ersten Tages bildete die Keynote von Karl-Heinz Land. Land nennt sich Digitalen Darwinist und Evangelist und ist Gründer der Strategie- und Transformationsberatung neuland. Er erhielt 2006 den Technology Pioneer Award“ auf dem World Economic Forum (WEF) in Davos. Er zeigte, wie die Dematerialisierung unserer Technik – beispielsweise der Ersatz des Autoschlüssels durch eine App – ganze Ökosysteme vernichtet – was er unter digitalem Darwinismus versteht. Mit dem Schlüssel verschwindet nicht nur die Fabrik, in der dieser hergestellt wurde, sondern auch der Hersteller der Maschinen für die Schlüsselfertigung.
Immer mehr Materielles verschwindet oder wird überflüssig, je weiter man in der Prozesskette nach hinten geht. Maschinen, Halbzeuge, aber eben auch Jobs. „Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Was vernetzt werden kann, wird vernetzt.“ Digitalisierung und Vernetzuing ermöglichen Automatisierung, deshalb der dritte Merksatz: „Was automatisiert werden kann, wird automatisiert.“
Land sieht uns mitten in einer gewaltigen Revolution, die zum Teil notwendig und willkommen ist, denn wenn immer mehr Menschen in Städten leben, wired die Dematerialisierung positive Effekte haben. Allerdings müssen wir uns, unsere Gesellschaft und unsere Unternehmen darauf einstellen – und zwar jetzt. Sein Credo: „Wer nach einer Digitalisierungsstrategie fragt, ist schon tot – Digitalisierung muss der Kern jeder Strategie sein!“
Am zweiten Tag besuchte ich einige interessante Vorträge: Ralf Luithardt von SSC-Services und Harald Katzenstein von Daimler zeigten, wie sich ein schlanker und sicherer Zugang zu PDM-Daten über die Cloud implementieren lässt. Prof. Alfred Katzenbach präsentierte den Erfolg und die aktuelle Durchdringung der Industrie mit JT, Frank Jelich berichtete von den Tests bei VW mit dem digitalen Zwilling und künstlicher Intelligenz in der Fertigung.
Die Ergebnisse sind interessant, die Hindernisse auf dem Weg sind vielfältig und reichen von alten Robotern, die noch keine Sensordaten liefern, über die Frage, wem eigentlich die Sensordaten gehören, bis zu der Erkenntnis, dass KI nicht unbedingt intelligente Ergebnisse zeitigen muss: In einem Test errechnete die KI aus einem riesigen Pool an Sensor- und anderen Daten, dass pro Jahr vier „Großstörungen“ auftreten, bei denen die Produktion bei VW komplett zum Erliegen kommt. Schnell zeigte sich, dass die KI damit die Termine der Betriebsversammlungen sehr genau erfasst hatte.
Meine Zusammenfassung lautet: Wir haben vielfältige, interessante Ansätze, die viel Geld sparen und Prozesse optimieren können. Die Wege dahin sind jedoch mit ebenso vielfältigen Hindernissen versehen. Ausgefeilte Prozesse sind die Voraussetzung für reibungslose Entwicklung und Betrieb unserer hochkomplexen Konstruktions- und Fertigungslösungen. Und gleichzeitig sind diese komplexen Prozesse das größte Hindernis, wenn man neue Paradigmen einführen will. Genügend Stoff für viele weitere Master- und Doktorarbeiten. Der Besuch des Prostep iViP Symposium hat sich in jedem Fall gelohnt.