Vorgestern kam die Meldung, dass die Cebit eingestellt wird. Nach der ersten Freude, dass das qualvolle Sterben dieser Messe endlich vorbei ist, die die IT-Branche jahrzehntelang im März ins neblige, nasse Hannover gezwungen hat, überwiegt bei mir die Furcht, dass das Ende der Cebit nur eines von mehreren Symptomen ist, die darauf hinweisen, dass Deutschland für die Digitalisierung schlecht gerüstet ist und die Politik unser Land sehenden Auges in die digitale Wüste führt.
Zitat aus dem Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung, Kapitel 5:
„Die Digitalisierung bietet große Chancen für unser Land. Wir wollen unser Land in allen Bereichen zu einem starken Digitalland entwickeln.
[…] Dafür setzen wir uns anspruchsvolle Ziele:
- eine flächendeckende digitale Infrastruktur von Weltklasse, …“
Es sind – neben dem Aus der Cebit – viele kleine Eindrücke, die sich zu einem Bild verdichten:
- Bei Markus Lanz streiten sich gestern Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und die stellvertretende Chefredakteurin der „Welt“ Dagmar Rosenfeld über die Zukunft der SPD. Rosenfeld konstatiert unter anderem, dass die SPD bei der Digitalisierung nur über die Risiken spricht, nicht über die Chancen. Weils Antwort: Eine längere Tirade, dass die Digitalisierung Risiken hat und man die Sorgen der Menschen ernst nehmen müsse.
- Die Randbedingungen der 5G_Frequenzversteigerung werden bekannt. Das hehre Ziel, ebenfalls im Koalitionsvertrag niedergelegt, „Wir sorgen für genügend Kitaplätze, digital ausgestattete Schulen und schnelles Internet in Stadt und Land“ wird aufgegeben. Schon bei der Vergabe der 3G-Frequenzen im Jahr 2000 konnte man das Problem besichtigen: Der Staat jubelte über mehr als 50 Mio. Euro Einnahmen, danach verlief der Aufbau der Netze schleppend, weil den Netzbetreibern schlicht die Mittel fehlten, den Ausbau zu bezahlen. Viel sinnvoller wäre, moderate Preise für die Lizenzen mit der Auflage zu verbinden, wirklich 100 Prozent Netzabdeckung zu schaffen. Wer den Stand des Mobilfunknetzes in Deutschland besichtigen möchte, möge einmal die Autobahn A81 zwischen Singen und Stuttgart befahren.
- Die Telekom gräbt vor meinem Haus 150 Meter weit die Straße auf, um die Volksbank nebenan mit Glasfaser zu versorgen, kommt aber nicht auf die Idee, bei mir anzufragen, ob ich an einem Glasfaseranschluss interessiert bin.
- In einer Bertelsmann-Studie zur Digitalisierung im Gesundheitswesen erreicht Deutschland Platz 16 von 17. Hier zeigt sich, wie ein hochgradig von der Politik beeinflusster Bereich die Zukunft verschläft.
- Die Bundesregierung beschließt eine „kräftige Aufstockung“ der Förderung der KI-Forschung von derzeit 60 Mio. Euro. Zum Vergleich: Frankreich investiert 1,5 Milliarden Euro in das Thema!
Man könnte noch viele Punkte aufzählen, das Bild bleibt dasselbe: Digitalisierung wird in der Politik als Nebensache angesehen, die höchstens dazu taugt, Ängste in der Bevölkerung zu schüren, auf deren Basis man sich profilieren kann.
Wie dringend die Wirtschaft ansieht, zeigt eine IDC-Studie, die in Zusammenarbeit mit Dassault Systèmes entstanden ist:
- 39 Prozent der befragten Entscheider sind überzeugt, dass mit dem bestehenden Geschäftskonzept ihres Unternehmens in 5 Jahren kein Wachstum mehr zu erzielen ist,
- 63 Prozent gehen davon aus, dass ihr Geschäftsmodell in 5 Jahren stark von datenbasierten Dienstleistungen abhängen wird und
- 70 Prozent halten ein digitales Geschäftsmodell für ihren zukünftigen Geschäftserfolg für entscheidend.
Die Kehrseite: Der Anteil datenbasierter Services am Umsatz liegt bei den befragten Herstellern derzeit erst bei 14 Prozent. Allerdings planen 71 Prozent der Unternehmen in den nächsten 24 Monaten die Einführung von Dienstleistungen auf Basis vernetzter Produkte oder sie bieten sie schon an. 11 Prozent bieten das Produkt selbst als Service an, 37 Prozent zusätzliche digitale Services zum Produkt.
Die Unternehmen haben die Wichtigkeit der Digitalisierung erkannt – nun wäre es wirklich hilfreich, wenn die Politik Rückenwind geben würde, statt Ängste zu schüren. Die Digitalisierung bietet genügend Stoff, um mit Regulierungen dafür zu sorgen, dass die Zukunft sich in einer Weise entwickelt, auf die wir uns freuen können. Es helfen hier nur Sachverstand, positives Herangehen an technische, gesellschaftliche und sicherheitstechnische Herausforderungen und Mut, die Zukunft zu gestalten. Leider sehe ich in der aktuellen Politikerriege niemand, der diese Werte verkörpert.
Offensichtlich hat es auch die mit Politikern dicht gespickte Leitung der Messegesellschaft Hannover nicht geschafft, die ehemals größte IT-Messe der Welt an das wirklich aktuelle Thema der Digitalisierung anzupassen. Stattdessen hat man zugelassen, dass die Digital Factory in die Hannover Messe wechselt. Doch der Niedergang hat seine Wurzel schon in den frohen „Nullerjahren“, als man die Mobilfunkbranche aus der Cebit drängte – die heute wiederum auf der Hannovermesse mit großen Ständen in der Digital Factory über Cloud, IoT und andere moderne Technologien informieren.
Selbst der Verlust der Digital Factory hätte noch sein Gutes haben können: Entlastet von dem typisch deutschen, sehr technischen Blickwinkel auf die Digitalisierung (siehe alleine das Wort „Industrie 4.0“), den die Digital Factory einnimmt, hätte man sich um die Digitalisierung in allen anderen Lebensbereichen, in Medizin, Gesellschaft und Kultur kümmern können, um die sozialen Implikationen, wenn Tausende von Berufsbildern ins Wanken kommen.
Einen interessanten Gesichtspunkt wirft Dr. Carlo Velten, Senior Analyst & CEO der Crisp Research AG in die Diskussion: „… So schreiben Thomas Kuhn und Michael Kroker [Anmerkung: in einem Artikel der Wirtschaftswoche], dass die „deutsche Digitalszene“ überrascht war und nun um ein wesentliches Event ärmer sei. Und hier liegt die Krux – die Cebit hat nie wirklich die deutsche Digitalszene repräsentiert.“ Digitalisierung ist eben nicht klassische IT – auch das ist ein Problem der Diskussion: Man redet aneinander vorbei, die Cebit war eine IT, keine Digitalisierungsdmesse.
Stattdessen versuchte man sich in Hannover an einem „Alles fein, Sonnenschein“-Festival – dabei waren die Themen 2018 gar nicht so falsch gesetzt – Drohnen, Blockchain, Mobility, IoT – aber eben der Rahmen nicht so ernsthaft, dass sich die echten Experten dort zu Hause gefühlt hätten.