Gestern, am 7. November 2018, veranstaltete der Berliner CAD-Hersteller Graebert sein „Annual Meeting“. Das Unternehmen ist eines der Urgesteine der CAD-Geschichte, hat es aber immer geschafft, unter dem Radar der meisten Anwender zu bleiben – obwohl viele sogar mit der Software des Unternehmens arbeiten, ohne es zu wissen. Dazu zählen unter anderem die Anwender von Draftsight, CorelCAD und OnShape. Deshalb handelte es sich bei dem Event nicht um das übliche Anwendertreffen, unter den knapp 80 Besuchern fanden sich überwiegend OEM-Partner und Entwickler.
Firmengründer Wilfried Graebner konnte in seiner Begrüßung vermelden, dass das Unternehmen aktuell genau 160 Mitarbeiter beschäftigt, die neben dem Hauptsitz in Berlin in den Entwicklungszentren in Indien und St. Petersburg, aber auch in den Tochtergesellschaften in Indien und Japan arbeiten. Wilfried Graeberts Söhne arbeiten auch im Unternehmen, Robert als CTO und Felix als Produktmanager SiteMaster.
Graebert kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Das Unternehmen wurde 1977 gegründet und wurde 1983 zum ersten und größten Autocad-Distributor Deutschlands. Als Autodesk in der ersten Hälfte der Neunziger Jahre bekanntgab, die Unterstützung der API-Sprache AutoLISP in Autocad einzustellen, war dies ein großer Schock für das unübersehbar große „Ökosystem“ an Applikationen für die unterschiedlichsten Bereiche von Mechanik über Architektur und Elektrotechnik bis hin zu GIS – denn die meisten dieser Erweiterungen, die Autocad oft kaum mehr als CAD-System, sondern als eine Art „grafisches Betriebssystem“ nutzten, waren in AutoLisp geschrieben.
Graebert: Über 40 Jahre Erfahrung im DWG-Umfeld
Graebert präsentierte im Jahr 1994 mit Felixcad ein eigenes, stark an Autocad angelehntes CAD-System, das nach wie vor die Schnittstelle AutoLisp unterstützte. Inzwischen entwickelt und vertreibt das Familienunternehmen die dritte Generation der Software (die zweite Generation lief unter Powercad) unter dem Namen Ares. Ares ist ein DWG-Editor und -Viewer, der vor allem 2D-, aber auch einige 3D-Funktionalitäten bietet. Die Software lässt sich durch APIs flexibel erweitern und anpassen. Auch Graebert selbst nutzt diese Komponentenarchitektur seiner Software, um vertikale Anwendungen zu entwickeln, beispielsweise die Aufmaßproduktfamilie SiteMaster, mit der sich Räume sehr schnell und einfach vermessen lassen. Ein Beispiel dafür ist SiteMaster Küche für die einfache Vermessung von Küchenräumen in der Küchenplanung.
Zwei Dinge machen dieses System besonders: Zum einen verfolgt Graebert eine Multi-Betriebssystem-Strategie, die Desktop-Version Ares Commander läuft unter Windows, Mac und Linux, die „Trinity“-Strategie wird von Ares Touch für Android und iOS sowie von der Cloudlösung Ares Kudo vervollständigt. Zum anderen vertreibt Graebert seine Lösungen vor allem an andere Anbieter, die die Software dann „whitegelabelt“ unter eigenem Namen an Endkunden vertreiben. Zu diesen zählen unter anderem Dassault Systèmes mit Draftsight, Corel mit CorelCAD und Cloudanbieter Onshape mit dem auf Kudo basierenden Onshape Drawings.
Graebert bietet drei Nutzungsarten an: Die weitgehendste Version ist Ares Commander OEM, bei dem der eigentliche Entwickler nicht sichtbar ist und der Käufer sehr stark den Funktionsumfang, das Aussehen und die Lizenzierung beeinflussen kann. Die zweite Option ist „powered by Ares“, bei der Ares als dieses System erkennbar ist, der OEM aber den Funktionsumfang und den Releasezyklus beeinflussen kann. Und schließlich besteht die Möglichkeit, eigene Funktionalität als Plugin in das System zu integrieren und das Bundle aus Ares und eigenem Plugin zu vertreiben. Auch für Ares Touch und Kudo bestehen ähnliche Optionen.
So stellte OEM und Partner Manager Hans Stahnke das Facility Management-System Famos von Keßler Solutions vor. Dieses in der Cloud lauffähige System ermöglicht die Verwaltung und den Betrieb von Gebäuden, Liegenschaften und Anlagen. Es wird von den Keßler-Kunden jeweils in Private Cloud-Installationen betrieben, so dass die Mitarbeiter beispielsweise auf dem iPad alle Informationen zu einem Raum, Stockwerk oder Gebäude ansehen können. Dabei nutzt Famos die Funktionalität von Graeberts Kudo, um geospezifische Informationen anzuzeigen. Klickt man beispielsweise einen Raum in der Famos-Auflistung an, wird dieser im Gebäudeplan farblich markiert. So lassen sich Informationen schnell verorten.
Ares allerorten: Cloud, Mobile, Desktop
Auch Vertreter von Dassault, Onshape und Corel zeigten, wie sie Ares-Technologie nutzen, um den Funktionsumfang ihrer eigenen Lösungen zu erweitern. Vor allem Andreas Kulik von Dassault Systèmes machte neugierig auf die SolidWorks World, bei der im Draftsight-Bereich große Neuerungen präsentiert werden sollen. Draftsight dient nicht mehr nur in SolidWorks, sondern auch in der 3DExperience-Plattform als DWG-Dateieditor, der es einerseits erlaubt, Altzeichnungen aus unterschiedlichen 2D-CAD-Systemen weiter zu nutzen. Andererseits zeigte Kulik, wie man in Draftsight eine 2D-Geometrie in die dritte Dimension extrudieren und dann in SolidWorks Simulation simulieren kann. Dann übernahm Kulik die Geometrie in den 3DExperience Marketplace, um dort einen Fertigungsbetrieb für das Teil zu suchen. Ebenso neu in Draftsight ist der Image Tracer, ein leistungsstarker Vektorisierer, der Bilddateien in CAD-taugliche Vektordaten umwandelt.
Eine hochinteressante Präsentation der Trinity-Technologie lieferte Hanka Klose, die bei Graebert für CAD-Consulting und Training verantwortlich ist. Sie zeigte zunächst, wie man in Ares Mobile vor Ort auf einer Baustelle einen Plan ansehen und mit Anmerkungen versehen kann – darunter auch ein Foto. Sie änderte sogar ein Dreifach-Fenster in ein einziges Fenster ab. Diese Änderungen wurden dann über Kudo in den Cloudspeicher zurückgespielt, von wo aus Kloses Kollege in der Desktop-App die Anmerkungen bearbeitete. Das war wirklich eindrucksvoll – Mobile, Cloud und Desktop konnten jeweils ihr Stärken ausspielen und sorgten für ein nahtloses Zusammenarbeiten.
Der Tag zeigte mehrere Dinge eindrucksvoll: Wie elegant und unwiderstehlich die Kombination von Cloud-, Mobile- und Desktopsoftware ist, wenn man wie im Trinity-System die Bestandteile sauber aufeinander abstimmt und nicht das eine als Ersatz für das andere ansieht, sondern als Ergänzung. Zum anderen, wie man als relativ kleine deutsche Firma im Reigen der großen CAD-Anbieter mitspielen und mit diesen sogar Geschäfte machen kann. Und nicht zuletzt zeigte sich, das 2D noch lange nicht tot ist und nicht nur in der Architektur, sondern auch in vielen anderen Bereichen nach wie vor seine Berechtigung hat.