Nicht erst die Debatte um das „Rezo-Video“ und der Umgang der CDU mit diesem Video zeigt, dass unsere Politik im Großen und Ganzen weit weg ist von den aktuellen Entwicklungen und Trends. Anders als früher, als ein echter Intellektueller mit „diesem Computerzeug“ nichts zu tun haben wollte und ein nichtvorhandener E-Mailaccount ein Ausweis von Abgeklärtheit war, ist eine solche Haltung in Zeiten der Digitalen Transformation gefährlich – nicht nur für den Einzelnen, sondern für ganz Deutschland.
Übrigens ist IT-Affinität und geschmeidiges Bewegen in Social Media keine Frage des Alters – insofern ist schon die Idee, einfach mal Philipp Amthor als Jüngsten aufzufordern, ein Antwort-Video zu drehen, wieder ein Signal dafür, dass sehr viele in der CDU keine Ahnung haben, was in den modernen Medien vor sich geht. Ich bin übrigens überzeugt, dass die SPD nicht wesentlich besser oder schlechter ausgesehen hätte, wäre sie das Hauptziel des Rezo-Videos gewesen.
Ich hatte eigentlich gehofft, dass eine Partei mit einem solch großen Stab wie die CDU eine professionelle Truppe Social-Media-erfahrener Marketingleute hat. Diese hätten vermutlich (anders als Phillip Amthor) gewusst, dass der Begriff „Zerstörung“ im Youtube-Slang nicht die Auslöschung der CDU bedeutet, sondern eben, dass „, dass jemand argumentativ ziemlich plattgemacht wurde“, wie Rezo im Bento-Interview sagt. Im schlimmsten Fall hätte jemand seine 14-jährige Tochter oder seinen Sohn fragen können.
Stattdessen: Empörung, falsche Anschuldigungen und als I-Tüpfelchen die Idee, die Meinungsfreiheit im Internet einzuschränken. Ich will jetzt nicht auf die Inhalte des Rezo-Videos eingehen, der gesamte Ablauf zeigt jedoch: Die CDU-Oberen hatten keine Ahnung, was in Youtube etc. vor sich geht und welchen Einfluss beziehungsweise welche Reichweite diese „komischen Youtuber“ haben. Kleiner Vergleich: Das Rezo-Video hat innerhalb eines Monats 15 Mio. Aufrufe erreicht, der Kanal CDUTV seit August 2008 knapp über 9,5 Mio. – insgesamt!
Währenddessen nutzen Rechte aller Art die Sozialen Medien virtuos, um ihre üblen Thesen und Ideen zu verbreiten und Stimmung zu machen. Matteo Salvini: 3,7 Mio. Facebook-Follower, Marine Le Pen: 1,5 Mio. FollowerViktor Orban: 675.000. Österreichs gefallener Vizekanzler Strache: 798.000 (siehe auch diesen Spiegel-Artikel). Alice Weidel immerhin 262.000. Die Bundesregierung hat immerhin 563.000 Abonnenten. Angela Merkel? In Social Media nicht präsent. Annegret Kramp-Karrenbauer 42.000, Andrea Nahles 25.000, Horst Seehofer 122.000.
Dagegen werden die Segnungen moderner Technologie gerne in Anspruch genommen, wenn sich damit eigene Themen – wie die innere Sicherheit – bedienen lassen. Sehr schön hat dies in letzter Zeit Bundesinnenminister Horst Seehofer demonstriert, als er zuerst auf die Idee kam, die End-to-End-Verschlüsselung in Messengern wie WhatsApp aufzubrechen und dann Alexa und Konsorten als digitale Wanze zur Strafverfolgung einspannen wollte.
Nun muss man nicht Youtube- oder Facebook-affin sein, um Themen wie die Digitale Transformation oder Industrie 4.0 voranzutreiben, aber ich denke, ein positives Grundverhältnis zu den modernen Medien und IT insgesamt würde schon helfen, diese Themen anders und offensiver anzugehen. Es gibt genügend Leute da draußen, die man fragen könnte – im Zweifelsfall die eigenen Kinder oder Enkel. Man müsste sich nur mal ernsthaft mit aktueller Technologie beschäftigen und sie nicht als Kinderkram abtun. Der Kinderkram ist erschreckend erwachsen geworden.
Wenn man nun an Technologien wie KI oder autonome Maschinen beziehungsweise Fahrzeuge denkt, dem kann schnell bange werden – wenn unsere aktuelle Politikergeneration(en) schon einem einzelnen Youtuber gegenüber völlig hilflos sind, wie wollen sie digitalen Bedrohungen durch Technologien, Konzerne oder fremde Mächte entgegentreten? Ich hoffe, dass sich die Bedeutung, die IT und die digitale Transformation auf jeden Bereich unseres Lebens haben, bald in den entsprechenden Köpfen festsetzt und dass diese Zukunftsthemen die Aufmerksamkeit erfahren, die sie verdienen.