Wenn sich in der Geschichte der Simulation die Richtung geändert hat, dann war es die Wende hin zur Massentauglichkeit. Früher war Simulation eine äußerst komplizierte Angelegenheit. In einem Unternehmen gab es dafür vielleicht nur einen einzigen besonders fähigen Dr.-Ing., der vor einem Hochleistungsrechner mit einer komplexen Software saß, also an einem System arbeitete, das Zehntausende, wenn nicht sogar Hunderttausende Euro gekostet hatte.
von Dave Opsahl, Tech Soft 3D, und David Heiny, SimScale
Unter solchen Bedingungen musste man zweimal überlegen, bevor man einen Simulationslauf startete. Vielleicht schob man Simulationen sogar bis zum Ende der Entwicklung auf und nutzte sie dann nur zur endgültigen Validierung der Entwicklung.
Dann aber geschah etwas Erstaunliches: Simulationssoftware-Pakete wurden leichter verfügbar, nicht nur in puncto Wirtschaftlichkeit, sondern auch, was das nötige Know-how betrifft. Plötzlich konnten auch Entwickler der unteren Chargen auf jeder Stufe der Entwicklung eine Simulation durchführen, um Verbesserungen einzubauen und diese wiederum zu prüfen. Es war nicht mehr nötig, die Simulation komplett dem Analyseingenieur oder dem Spezialisten für Computerberechnungen zu überlassen.
Die Cloud gibt nun die Möglichkeit, die Simulation noch „massentauglicher“ zu machen, indem sie quasi unbegrenzte Computerleistung bereitstellt, der sich Unternehmen jeder Größe bedienen können. In der Vergangenheit konnten es sich nur Branchenriesen im Flugzeug- oder Automobilbau leisten, in Hardware zu investieren, die leistungsfähig genug für hoch aufwendige Simulationen war, wie sie bei der Mechanik nichtlinearer Strukturen oder bei Strömungsberechnungen anfallen. Heute öffnet die Cloud allen Unternehmen diese Möglichkeit.
Mehr als nur Rechenleistung
Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass die Cloud bei der Simulation mehr liefert als nur unbegrenzte Rechenleistung (auch wenn diese einen großen Teil ihres Werts ausmacht): Die Cloud erleichtert zudem die Zusammenarbeit. So kann zum Beispiel in einem Unternehmen ein Simulationsexperte in Echtzeit mit einem in der Simulation weniger sattelfesten Entwickler desselben Unternehmens kommunizieren und ihm nützliche Hinweise zu Simulationseinstellungen und -arrangements geben. Auch kann ein Beratungsingenieur leicht mit einem externen Kunden zusammenarbeiten. Die Cloud unterstützt die Zusammenarbeit, unabhängig davon, wer an einem Projekt beteiligt ist.
Um solche Möglichkeiten realisieren zu können, muss die Web-Software, die die Simulationsservices bereitstellt, in mehrerer Hinsicht äußerst leistungsfähig sein. Als Grundvoraussetzung muss die Software 3D-CAD-Dateien vieler Formate unmittelbar verarbeiten können. Grundsätzlich ist Simulation ja nicht der erste Schritt: Entwickler werden bereits eine Basiskonstruktion haben, die sie dann simulieren wollen; somit muss jede Online-Plattform problemlos mit solchen Ausgangsdateien umgehen können.
Darüber hinaus benötigen Simulationsplattformen eine per Web abrufbare leistungsfähige 3D-Visualisierung. Numerische Strömungsmechanik (Computational Fluid Dynamics, CFD), Finite-Elemente-Analyse (FEA) und Thermodynamik-Simulationen sind Gebiete, in denen eine nur mittelmäßige Darstellungsleistung nicht zum Ziel führt. Aus diesem Grund ist bei Simulationsplattformen der Einsatz von extern zugekauften Technikkomponenten sehr beliebt, wenn kompromisslos brillante 3D-Grafiken gewünscht sind.
Diese neue Art der per Cloud verfügbaren Simulation gewinnt derzeit in vielen Bereichen an Beliebtheit, darunter bei KMUs und im vertikalen Markt im Bereich Architektur, Bauplanung und Bauausführung (Architecture, Engineering and Construction, AEC). Einer der Gründe für die Beliebtheit cloudbasierter Simulation im Bereich AEC liegt darin, dass die Baubranche im letzten Jahrzehnt wegen des anhaltenden Baubooms und ständig strengerer Bauvorschriften sehr viel zu tun hatte. Das bedeutet natürlich, dass die AEC-Unternehmen ausgeklügeltere Simulationsfunktionen nutzen müssen als früher.
So müssen AEC-Unternehmen zum Beispiel in immer stärkerem Maße Strömungssimulationen in städtischen Bereichen durchführen, um vorab zu erkennen, ob Windströmungen, die von einem großen Gebäude beeinflusst werden, zu Beeinträchtigungen führen. Oft müssen sie auch eine Analyse der thermischen Behaglichkeit bestimmter Aufenthaltszonen innerhalb eines Gebäudes durchführen. Die Anwendung solcher modernen Analysen kann sich auch auf bestimmte Gebäudeprobleme erstrecken, beispielsweise das Analysieren von Abgasströmungen mit dem Ziel einer höheren Luftreinheit in Parkhäusern.
Da immer mehr solcher Energieeffizienzforderungen und staatlichen Vorschriften rund um den Globus in Baunormen umgesetzt werden, gibt es eine wachsende Notwendigkeit für Architekten und Bauingenieure, ihre Entwürfe wiederholt schnell ändern zu können, um neuen Anforderungen gerecht zu werden. Simulation hilft ihnen, dies schnell und effizient zu tun.
Simulation: Eine äußerst attraktive Option
Fast jede Branchensoftware bietet als Option für Kunden die Nutzung nach dem Prinzip Software-as-a-service (SaaS). Konstruktionssoftware ist einer der letzten Bereiche, in denen das noch nicht vollständig realisiert ist. Dafür gibt es seit langer Zeit einen Grund: Solche Software ist komplex und sehr grafiklastig, und ihre Nutzer sind sozusagen „schwierige Kunden“, weil sie bereits einen festen Workflow haben, der um ihr wertvolles Intellectual Property (IP, geistiges Eigentum) herumgeschneidert ist.
Allerdings sind die Nutzeffekte der Cloud – unbegrenzte Computerleistung, Möglichkeit der Zusammenarbeit mit anderen – einfach zu attraktiv, um sie langfristig zu ignorieren. Bedeutet das nun, dass die Welt der Konstrukteure über Nacht zu 100 Prozent auf SaaS umschwenken wird? Natürlich nicht. Einige Branchen sind schon heute bereit für den Umstieg, andere brauchen womöglich noch Jahre, und wieder andere werden wegen spezieller Regelungen nie eine Software in einer öffentlichen Cloud nutzen können.
Zwar wird die Vision eines kompletten Konstruktionssoftware-Pakets von Unternehmen wie Autodesk und OnShape derzeit erst langsam realisiert, doch ist der größte Teil des Konstruktions-Workflow bereits in der Cloud verfügbar – auch die Simulation. Durch die „Massentauglichkeit“ selbst der komplexesten Aspekte des Workflow gelangt die Simulation in mehr Hände als je zuvor, und ihre Nutzeffekte werden nicht nur bei denjenigen Unternehmen spürbar, die mit ihr arbeiten, sondern bei jedem, der mit der Konstruktionswelt zu tun hat – wirklich bei jedem.
Über den Autor
Dave Opsahl ist Vice President bei Tech Soft 3D, zuständig für Unternehmensentwicklung. Außerdem ist er Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Sagemark LLC, das mit Entwicklern technischer Software auf den Gebieten Vertrieb, Marketing und Herausforderungen bei der Unternehmensentwicklung zusammenarbeitet. Der frühere CEO ist Gründer (und war erster geschäftsführender Direktor) des 3D PDF Consortium und – länger als er es zugeben mag – ein erklärter PLM-Freak.