Die Nachricht kam heute Nacht herein: PTC kauft OnShape. Oder, wie Engineering.com es ausdrückt: Die Firma, die die letzte Revolution im Mechanik-CAD-Bereich startete, wird von der Firma gekauft, die die erste Revolution startete („The company that started the latest revolution in mechanical CAD is being bought by the company that started the first one.“). Man möchte den Anfang des Zitats ergänzen um: „Die Firma der Leute, die mit SolidWorks die zweite Revolution gestartet hatten, …“. Die Nachricht ist so überraschend wie sie vorhersehbar war.
Onshape wurde seit dem Start des Unternehmens mit dicken Vorschusslorbeeren bedacht, auch ich habe einige Artikel zum Cloud-CAD veröffentlicht. Das Unternehmen hat alle Merkmale, die CAD-Kenner zum Schwärmen bringen: Die Führungsmannschaft besteht zu großen Teilen aus der Mannschaft der „guten alten Zeit“von SolidWorks, anderen CAD-Veteranen und einigen Cloud-Spezialisten. Der radikale Ansatz, ein CAD-System komplett in die Cloud zu verlagern, wurde von keinem anderen Unternehmen so konsequent durchgezogen. Quasi nebenher bietet Onshape die Möglichkeit, gemeinsam und zweitgleich an einem Bauteil zu modellieren. Und mit seinem teilweise kostenlosen Ansatz hat das System die Anlagen dazu, sich virusartig in Unternehmen einzuschleichen.
Allerdings hat sich die Welt weitergedreht, seit Jon Hirschtick, John McEleney und andere die CAD-Branche mit SolidWorks über den Haufen warfen. Es genügt nicht mehr, ein revolutionäres CAD-System auf den Markt zu bringen, heute sind Plattformsysteme gefragt, die sich in größere Datennetzwerke einbetten, die mindestens ganze Prozessketten abdecken und am besten das gesamte Unternehmen mit Daten versorgen. Auch SolidWorks hat ein beeindruckendes „Ecosystem“ von Zusatzanwendungen um sich aufgebaut und mit der Anbindung an die 3DExperience (den Artikel dazu verschiebe ich auf morgen) den Weg in eine Plattform geschafft.
Onshape hingegen ist zwar mit integrierter Datenverwaltung und Analytics zu einem ernsthaft in Erwägung ziehbaren Kandidaten für das Konstruktionsbüro herangewachsen, außerhalb der reinen Konstruktion wird es allerdings schnell dünn. Zwar gibt es eine Reihe von Partnerapplikationen für ERP, PLM, Simulation und CAM, aber das sind wiederum Standalone-Werkzeuge.
Wenn man sieht, wie tief beispielsweise SolidWorks CAM in die Entwicklungsumgebung eingebunden ist – ich habe das hier beschrieben – bekommt man eine Ahnung davon, was „integrierte Plattform bedeutet – so werden beispielsweise die Fräszeiten aus der CAM-Simulation im Costing-Modul genutzt, Toleranzen aus dem CAD-Modell in der Fräsbahnberechnung berücksichtigt. Solche Integrationsvorteile in einem Szenario aufzubauen, in dem zwei Cloud-Systeme über Schnittstellen miteinander verbunden sind, ist schwer vorstellbar.
Und so ging es bei Onshape zwar technologisch ständig voran, aber kommerziell kam das Unternehmen nie in den Tritt. Man sammelte zwar über 150 Mio. Dollar Wagniskapital ein, konnte aber nur 5.000 zahlende Kunden weltweit überzeugen. Außerhalb der USA war Onshape nie mit Vertriebspersonal präsent – so konnte es nicht weitergehen.
PTC dagegen kann nur gewinnen. Onshape war relativ preiswert – mit 470 Mio. Dollar zahlt PTC wenig mehr als die 310 Mio. Dollar, die Dassault Systèmes im Jahr 1997 für SolidWorks auf Jon Hirschticks Tisch legen musste. Siemens zahlte für Unigraphics im selben Jahr 3,5 Mill Dollar – da waren allerdings NX, Solid Edge, Tecnomatix und weitere im Paket dabei. CoCreate – heute Creo Elements/Direct – kostete PTC übrigens nur 250 Mio. Dollar – dieser Kauf wurde ebenfalls im Jahr 2007 bekanntgegeben.
Mit Onshape kauft PTC eine interessante Technologie. Anscheinend kommt das Unternehmen auf seinem Weg, Pro/Engineer mit Creo in leichte Apps aufzuspalten, nicht recht voran. Zur Vorstellung des neuen Namens Creo im Jahr 2009 präsentierte das Unternehmen den Plan, die CAD-Systeme Pro/Engineer als Parametriksystem und CoCreate als Direktmodellierer in einem Creo-App-System aufgehen zu lassen, in dem jede Funktion nur einmal vorhanden ist, also beispielsweise die 2D-Zeichnungsableitung für parametrische Modelle ebenso genutzt werden kann wie für direkt modellierte.
Inzwischen hat sich PTC zum Industrial IoT-Unternehmen weiterentwickelt, CAD schien lange nur eine Nebenrolle zu spielen. Von einem Cloud-Creo wurde nur in Nebensätzen gesprochen. Creo lässt sich zwar – wie beispielsweise auch SolidWorks – im Browser streamen, das hat aber mit echter Cloudarchitektur nicht zu tun. Insofern bietet die Onshape-Technologie PTC die Möglichkeit, sein CAD-Angebot aufzubrechen, cloudbasierte Modellierung anzubieten – übrigens wird das PTC-PLM-System Windchill schon länger als Cloudsoftware angeboten und endlich den Creo-Monolithen aufzubrechen.
Onshape bietet PTC interessante Technologien: Cloudbasiertes CAD und PDM mit einem ernstzunehmenden Funktionsumfang. Zudem bleibt die zweifellos supererfahrene Mannschaft an Bord, Onshape läuft vorläufig relativ selbständig weiter. Für mich sieht das nach einem sehr cleveren Deal aus. Heute Abend wird PTC-CEO Jim Heppelmann in einer Telefonkonferenz weitere Infos liefern. Ich bin gespannt.