Erst kürzlich gab es einige Neuigkeiten aus dem Hause Siemens Digital Industries Software, wie man in meinem Artikel nachlesen kann. Neue Namen für Firma und Software sowie mit Mendix ein wichtiger zusätzlicher Bestandteil der Softwaresuite waren natürlich auch bei der Siemens PLM Europe im Berliner Estrel-Hotel wichtige Themen. Bei der Begrüßung am Montag, den 7. Oktober, verkündete User Group-Chairman Maarten Romers, dass dies die letzte PLM Europe sein würde, die von der User Group veranstaltet wird.
Die Siemens PLM Europe ist eine der traditionsreichsten Veranstaltungen der CAD-Branche, die erste fand im Jahr 1981 in Großbritannien mit etwa 30 Teilnehmern statt. Im Jahr 1990 wurde die European User Group gegründet, die seither das Anwendertreffen ausrichtet. Im nächsten Jahr wird sich das ändern, dann übernimmt Siemens selbst die Organisation. Der Name der Veranstaltung wird wohl Realize Live Europe lauten, sie soll am 02.-04. November 2020 am gewohnten Ort in Berlin stattfinden.
Doch erst einmal zum aktuellen Event. Romers begrüßte etwa 1.000 Besucher aus 33 Ländern, etwa 200 weniger als im Vorjahr. 50 Prozent der Besucher sind Siemens-Kunden, 35 Prozent zum ersten Mal bei der Veranstaltung. Die PLM Europe schaffte es immer, etwa ein Drittel „Neue“ anzuziehen, was sicher für die Veranstaltung spricht. Bei der Gewichtung der Teilnehmer hat sich allerdings einiges getan, inzwischen interessieren sich 75 Prozent der Besucher für PLM und nur noch 10 Prozent für Product Engineering, also CAD. Der CAD-Anteil sank über die Jahre kontinuierlich – das Thema ist offensichtlich so zum Allgemeingut geworden, dass es kaum noch Grund ist, sich auf einer Veranstaltung zu informieren.
Diese Verschiebung spiegelte auch die Agenda der Vorträge ab, in der nur noch 2 von 13 Slots für Product Engineering vorgesehen sind. Die Siemens-Welt verschiebt sich wie der gesamte High-End-Bereich der CAD-Branche hin zu allumfassenden Plattformen, in denen Themen wie IoT oder Manufacturing Operations „hip“ sind und CAD nur ein Teilaspekt beziehungsweise einer von vielen Datenlieferanten ist. Die Siemens PLM Europe passt sich dem an.
Das zeigte sich auch in der Keynote-Rede von CEO Tony Hemmelgarn, der zum Thema „Managing Complexity“ sprach. Heute sei es sehr wichtig, die riesigen Datenmengen so zu kanalisieren, dass sich sinnvolle Informationen daraus extrahieren lassen. Vor Jahren habe der digitale Zwilling vor allem aus dem 3D-Modell bestanden, heute sind auch Funktion und Verhalten integriert. Mit der Rückmeldung von Daten aus dem IoT entstehe dann ein „closed loop“, also eine geschlossene Kette von Entwicklung, Betrieb und Rückmeldung.
Portfolio deckt alle Bereiche des digitalen Zwillings ab
Dazu ist es natürlich notwendig, dass der digitale Zwilling auch Elektronik und Software enthält. Hier hat sich Siemens in den letzten Jahren, unter anderem mit dem Kauf von Mentor Graphics, gut aufgestellt. Interessant waren Hemmelgarns Aussagen zu KI: Die Künstliche Intelligenz ist immer nur so gut wie die Daten, mit denen sie angelernt wird. Ein guter Ansatz sei die Kopplung von KI, 3D-Modell und Simulation. So kann die KI anhand des Verhalten des Modells in der Simulation lernen, es entsteht ein virtueller closed loop.
Siemens arbeitete gemeinsam mit HP daran, deren 3D-Drucker zu optimieren. Mit Hilfe von Simulationen und KI ließ sich die Hitzeabfuhr aus den Druckköpfen stark verbessern, was zu einer um 15 Prozent höheren Druckgeschwindigkeit führte. Aus diesem Projekt ergab sich eine enge Zusammenarbeit der beiden Unternehmen, die für eine nahtlose Integration des 3D-Drucks in die Siemens-Software sorgt.
Zum Thema Lizenzen gab es klare Aussagen: Die Softwareangebote von Siemens sind cloudfähig, können aber ebenso gut lokal installiert werden, kein Anwender wird in die Cloud gezwungen. Ebenso steht es mit Subscription, die Perpetual License, also die Kauflizenz, wird neben dem Mietmodell weiter angeboten.
Neu aufgestellte Siemens mit Software als Backbone
Dann kam Hemmelgarn auf Mendix zu sprechen. Diese Akquisition habe ich erst kürzlich kurz besprochen, da hatte ich allerdings noch nicht keine echte Vorstellung davon, wie Mendix ins Portfolio passt. Das wurde auf der Siemens PLM Europe sehr viel klarer, weshalb ich Mendix einen eigenen Artikel spendiere.
Der Siemens-Konzern hat sich völlig neu aufgestellt, die wichtigsten Pfeiler sind in Zukunft Digital Industries, Smart Infrastructure und Mobility. Andere Geschäftsbereiche wie Gas & Power oder die Medizintechniksparte Healtineers sollen ganz oder teilweise abgestoßen werden. Der Bereich Digital Industries besteht wiederum aus den Geschäftseinheiten Software, Factory Automation, Motion Control, Prozessautomatisierung und Service. In allen drei Hauptpfeilern spielen digitale Zwillinge, Simulationen und IoT eine tragende Rolle. So langsam wird deutlich, wie stark sich Siemens in den letzten Jahren gewandelt hat, beginnend mit dem Unigraphics-Kauf: Die damals ins Unternehmen gekommene Software bildet – integriert mit bestehenden Softwarelösungen beispielsweise im Steuerungsbereich – den Backbone, auf dem das gesamte Siemens-Portfolio basiert.
Digital Industries oder Smarte Infrastruktur sind ohne IoT und den digitalen Zwilling genauso wenig denkbar wie Mobility. Insofern hält der Bereich Siemens Digital Industries Software den Schlüssel zum Erfolg des gesamten Konzerns in Händen. Und das Exotenthema CAD/PLM, das in den oberen Etagen der Industrie gegenüber ERP und kommerzieller Software gerne hintenangestellt wurde, wird nun als Basis allen Handelns im erfolgreichen Unternehmen erkannt. Endlich, möchte man sagen. Man darf gespannt sein auf die Nachfolgerveranstaltung der Siemens PLM Europe.