Jahresende, Zeit der Rückblicke. Diesem Trend verschließt sich auch EngineeringSpot.de nicht. Schauen wir nach, wer im Jahr 2019 wen gekauft hat und welche Megatrends sich aus diesen Akquisitionen ableiten lassen. Mit diesem Blogpost verabschiede ich mich dann bis Anfang 2020.
Die Trendthemen des letzten Jahres im Bereich der Produktentwicklung waren aus meiner Sicht von den IT-Megatrends Plattformen, Automatisierung und Künstliche Intelligenz beeinflusst. Ein „internes“ Megathema ist der berühmte „digitale Zwilling“. Schauen wir uns das mal genauer anhand der Akquisitionen des Jahres 2019. Das zu Ende gehende Jahr sah eine ganze Reihe von Firmenübernahmen, unter anderem:
- PTC kauft Onshape (Cloud-CAD) und Twnkls (AR),
- Altair kauft Edem (Simulation) und Polliwog (EDA-Automatisierung),
- Siemens kauft MultiMechanics (Materialmodellierung und -simulation) und Atlas 3D (3D-Druck-Vorbereitung),
- Ansys kauft LSTC (LS-Dyna, dynamische Simulation), Dynardo (Simulationspozessintegration und Designoptimierung), Granta (Materialdaten für die Simulation) und Helic (elektromagnetische Simulation),
- Dassault Systèmes kauft Medidata und Bioserenity (beide Life Science) sowie elecworks (Elektrokonstruktion) und IQMS (ERP)
Die Auswahl zeigt: Die Unternehmen, vor allem im Simulationsbereich, ergänzen ihr Portfolio und streben danach, möglichst viele Aspekte des realen Lebens virtuell abzudecken – eine Voraussetzung für den digitalen Zwilling. Große Zusammenschlüsse blieben dagegen aus – offensichtlich ist die große Konsolidierungsphase der Branche erst einmal vorbei. Simulation gewinnt eine zentrale Position im Portfolio der Anbieter, CAD dagegen ist eine größtenteils „ausentwickelte“ Technologie – notwendig, aber eben nicht im Fokus.
Dieser letzten Diagnose widerspricht der PTC-Onshape-Deal, aber auch er passt ins Bild, wenn man analysiert, was das Besondere an Onshape ist: Nicht die CAD-Funktionen – die sind ordentlich – sondern die bedingungslose Ausrichtung des Systems auf die Cloud mit neuartigen, nur in diesem Technologieumfeld so umsetzbaren Dateiverwaltungswerkzeugen.
Plattformen: Daten sollen wie das Blut im Organismus an alle Stellen des Unternehmens gepumpt werden, dort Nutzen spenden und immer weiter angereichert werden. Dies erfordert einen möglichst nahtlosen Datenfluss ohne Schnittstellen, Medienbrüche und Übersetzungen. Das bedingt eigentlich eine Plattform, innerhalb derer alle Funktionen eines Unternehmens oder zumindest weiter Bereiche dieses Unternehmens vorhanden sind. Genau diese Plattformen gilt es zu schaffen, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Deshalb bauen auch die Unternehmen, die nicht an einer Abdeckung der gesamten Prozesskette interessiert sind – beispielsweise die Simulationsfirmen – ihr Portfolio aus. Dann können sie immerhin „Teilplattformen“ bilden.
Positiver Nebeneffekt: Multidisziplinäre Simulationen erfordern einen sehr effizienten, in Echtzeit laufenden Datenaustausch zwischen verschiedenen Solvern. Das lässt sich in einem gekapselten Netzwerk von Simulationslösungen sicherlich einfacher realisieren als in einer großen, allumfassenden Plattformen.
Automatisierung: Die Digitalisierung lässt eine Vielzahl von Berufen verschwinden – und zwar nicht nur, wie in den letzten industriellen Revolutionen, Jobs im unteren Bereich. Diesmal trifft es auch den Sachbearbeiter oder den Prototypen des einstmals sicheren Jobs, den Bankkaufmann. Viele dieser Tätigkeiten lassen sich über Computer und selbstlernende Algorithmen abarbeiten. Wenn beispielsweise ein Großteil aller Verkehrsunfälle von vornherein klare Schuldverhältnisse haben, lässt sich die Schadensregulierung automatisieren. Nur noch die 20 Prozent unklaren Fälle landen bei einem menschlichen Bearbeiter.
Ähnliches droht in vielen Bereichen des Unternehmen, beispielsweise können neuronale Netzwerke eine Produktion oft besser steuern als menschliche Planer – zumindest wenn es um die komplexe Feinplanung geht, in der sehr viele Randbedingungen berücksichtigt werden müssen.
In Produktentwicklung ist einerseits viel Kreativität gefragt, was dem Computer weniger liegt. Andererseits finden sich auch hier viele administrative oder Überwachungstätigkeiten, die Kollege Computer absolvieren kann – siehe auch meinen letzten Blogeintrag und den Artikel zur Zukunft der Produktentwicklung in der Jubiläumsausgabe des Maschinenmarkt. In diesem Bereich geht es vor allem darum, Prozesse zu beschleunigen, die Arbeitszeit der Entwickler für kreative Tätigkeiten freizuschaufeln und vor allem dem Personalmangel entgegenzuwirken, indem, die Effizienz der bestehenden Mitarbeiter gesteigert wird.
Künstliche Intelligenz: Hier verweise ich ebenfalls auf den letzten Blogeintrag, ich halte den Megatrend KI in Bezug auf die Produktentwicklung für völlig überschätzt, von selbstlernenden CAD-Systemoberflächen oder ähnlichem abgesehen. Dennoch hat KI einen Einfluss auf die Produktentwicklung, indem diese Technologie in die Produkte selbst Einzug hält.
Ein Einsatzbereich, in dem ich mir KI sehr gut vorstellen kann, ist die Featureerkennung. Um „dumme“ Geometrien aus anderen Systemen einlesen zu können, muss die Software die Fremdgeometrie nach bekannten Features untersuchen und diese neu definieren. Beispielsweise müssen Kanten, Radien und Fasen als solche erkannt werden, ebenso Bohrungen und zusammenhängende Flächen. Das sollte sich mit selbstlernenden Algorithmen sehr gut umsetzen lassen.
Wenn ich meine eigene Glaskugel bemühen soll – ich bin sicher, dass wir weiterhin Akquisitionen sehen werden, mit denen große Anbieter sich um Nischentechnologien ergänzen. Hoffentlich hält die Weiterentwicklung mit den Zukäufen Schritt. Viele Anbieter haben in Bezug auf Plattformen und Bedienbarkeit Einiges nachzuholen – es reicht nicht, einen bunten Stall an Applikationen zusammenzukaufen, man muss dann auch Schnittstellen schaffen und Bedienkonzepte angleichen. Die aktuellen Megatrends werden uns sicher weiter begleiten.
Ich bin gespannt, was uns 2020 bringen wird und wünsche Ihnen allen frohe Weihnachten und ein glückliches und erfolgreiches Neues Jahr.