Ich hatte die Ehre, in der aktuellen Ausgabe des Maschinenmarkt – der Jubiläumsausgabe zum 125jährigen Jubiläums dieser Traditionszeitschrift – einen Blick in die Zukunft der Produktentwicklung werfen zu dürfen. Solche Ausblicke passen ja immer auch zum Jahresende, und so möchte ich auch hier im Blog als Einstimmung in die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel meinen persönlichen Jahresrückblick und einen Ausblick auf die nähere Zukunft geben. In einem ersten Post möchte ich mich in Ergänzung zu diesem Zeitschriftenartikel über die Schwierigkeiten auslassen, die Zukunft vorherzusagen sowie über den Einfluss, den KI und Generative Design auf die Propduktentwicklung haben werden. Mit einem zweiten Blogpost, der die Marktentwicklung im Jahr 2019 beleuchtet, verabschiede ich mich dann bis Anfang 2020.
Wenn man manche Verlautbarungen zum Thema Generative Design liest, könnte man meinen, das reine Modellieren würde bald vom Computer übernommen. Der Ingenieur als „Datenlieferant“ für die Generative-Design-Maschine, die dann im Handumdrehen optimale Geometrien entwickelt? Diese Entwicklung habe ich im obengenannten MM-Artikel analysiert und komme zu dem Schluss, dass wie in jedem Hype die Auswirkungen der neuen Technologie maßlos überschätzt werden – beziehungsweise die Richtung der Auswirkungen falsch eingeschätzt wird.
Fehler Nr.1 der Zukunftsdeuter: Lineare Interpolation
Der typische Fehler Nummer 1 in diesem Zusammenhang ist die lineare Interpolation – die aktuelle Entwicklung oder ähnliche Entwicklungen werden einfach in die Zukunft verlängert und erzeugen gigantische Zahlen und Erwartungen. Ein gutes Beispiel sind die Analystenfantasien, als HP im Jahr 2010 erstmals in den 3D-Druckermarkt einstieg. Man nahm die Entwicklung im Tintenstrahlermarkt – vor den ersten HP-Tintenstrahlern waren Druckern in Privathaushalten selten, die neuen Geräte änderten das und bald hatte fast jeder einen preiswerten Drucker zu Hause. Analysten nahmen also die aktuellen 3D-Druck-Marktzahlen und die Steilheit der Entwicklung der 2D-Drucker und folgerten daraus, dass in wenigen Jahren praktisch jeder Haushalt einen 3D-Drucker haben wird. Heute, in dieser Zukunft, zeigt sich, dass diese Entwicklungserwartungen natürlich albern waren.
Dabei hatten die Analysten grundlegende technologische Tatsachen außer Acht gelassen:
- Es ist wesentlich schwieriger, 3D-Druckdaten zu erzeugen als einen Brief zu schreiben. Nicht jeder, der seine Briefe auf dem 2D-Drucker erstellt, wird zum 3D-Modellierer und 3D-Druckerbesitzer.
- HP adressierte im 3D-Druckbereich nie den Consumermarkt. von 2010 bis 2012 vertrieb HP umgelabelte Stratasys-Drucker – die waren zwar preiswert, aber nur im Vergleich zum Rest des Stratasys- Portfolios.
- Und HP stieg, als es mit den Stratasys-Geräten den Markt getestet und analysiert hatte, 2016 mit den eigenen Geräten schließlich im obersten Bereich ein und verkauft heute recht erfolgreich Produktionsmaschinen für die Serienfertigung.
- Der Markt für „Heim“-3D-Drucker ist im Übrigen nahezu zusammengebrochen, billige China-Bausätze beherrschen den Markt.
- Die Post geht trotzdem ab im 3D-Druck – aber eben im Businessbereich, wo sich die Metall- und Kunststoffdrucker immer weiter etablieren.
Was lernen wir daraus? Erst einmal sollte man die technologischen Hintergründe verstehen, bevor man interpoliert. Und das Lineal bleibt in der Schublade, Trends verlaufen wellenförmig oder exponentiell – und meist in andere Richtungen als man sich das anfangs dachte.
Zurück zum Generative Design: Nur weil ein Computer eine optimale Geometrie erzeugen kann, ersetzt er noch lange nicht den Konstrukteur. das beginnt schon mit dem Begriff „optimal“. Was ist denn in einem bestimmten Zusammenhang optimal, auf welche Eigenschaft hin soll die Software optimieren? Möglichst geringes Gewicht bei gegebener Festigkeit oder maximale Festigkeit bei gegebenem Gewicht? Das muss am Ende immer noch der Mensch entscheiden. Denn der Computer rechnet nur stur das ab, was ihm vorgesetzt wird.
Fehler Nr. 2 der Zukunftsdeuter: Missverstehen technischer Begrifflichkeiten
Aber jetzt gibt es ja künstliche Intelligenz. Könnte die nicht dafür sorgen, dass man dem Computer nur noch eine Produktidee vorsetzt und dieser erstellt dann das optimale Produkt? Hier sind wir beim typischen Fehler Nummer 2 der Zukunftsdeuter: „Missverstehen technischer Begrifflichkeiten*.
Der Ausdruck „Künstliche Intelligenz“ bezieht sich nicht auf eine Nachbildung der menschlichen Intelligenz, wie wir sie beim Menschen verstehen, sondern auf die Tatsache, dass KI-Software das Verhalten von Neuronen nachbildet. Zur Intelligenz zählen sehr viele kognitive Leistungen und Leistungsfelder. Ein ganz einfaches Beispiel: Trotz der Tatsache, dass ein Taschenrechner viel besser rechnen kann als die meisten Menschen, billigen wir diesem keine Intelligenz zu – denn das Rechnen ist zwar ein komplexer Vorgang, aber eben nur ein winziger Ausschnitt aus dem großen Bereich Intelligenz.
Natürlich mutet es erst einmal wie Zauberei – oder eben wie das Vorhandensein von Intelligenz – an, wenn eine KI auf Bildern Katzen, Toaster oder Menschen erkennt. Dabei ist das eine rein statistische Leistung – die KI wurde mit einer Vielzahl von beispielsweise Katzenbildern gefüttert und hat selbständig Gemeinsamkeiten erfasst. Diese Gemeinsamkeiten wendet es nun auf neue Bilder an und erkennt damit Katzen auf unbekannten Bildern.
Dahinter verbergen sich zwei Probleme: Erstens hat die KI dabei nicht das „Prinzip Katze“ verstanden. Ein zwei oder drei Jahre altes Kind versteht sofort, dass hinter dem Wort Katze ein ganzes Bündel von Eigenschaften steckt: ein Tier, ein Haustier, frisst Mäuse, ist weich, kann man streicheln, schnurrt, und so weiter. Zweitens weiß niemand, welche Eigenschaften die KI Katzen zuordnet, also welche Bildbestandteile sie tatsächlich als „Katze“ interpretiert. Ist es der Kopf, sind es die Ohren, ist es die Fellfarbe? Oft keines dieser Dinge, wie die Forschung inzwischen gezeigt hat.
KI können dies gar nicht leisten, da zu der Fähigkeit, Dinge wirklich zu verstehen, ein Selbstverständnis oder gar ein Selbstbewusstsein vorhanden sein muss. Um Beziehungen zwischen Dingen verstehen zu können, benötigt man einen eigenen Standpunkt. Natürlich kann eine KI lernen, dass eine Katze ein Tier ist. Aber um diesen Schluss selbst ziehen zu können, müsste die KI wiederum wissen und verstehen, was ein Tier ist – und so weiter.
Wie sollen nun künstliche Intelligenzen, die rein mechanisch beziehungsweise statistisch Dinge klassifizieren, zu konstruktiven Leistungen fähig sein? Dazu wären Kreativität und ein tiefes Verständnis von Zusammenhängen notwendig. So bleibt für den Computer das, was er tatsächlich sehr gut kann: Stupide Gleichungen zu lösen und damit den Konstrukteur bei der Formgebung zu unterstützen.
Wie so oft ist es auch hier kein Schwarz-Weiß, kein Entweder-Oder: Der Mensch bringt seine kreative und kognitive Leistung ein, der Computer nimmt ihm die repetitiven Aufgaben ab. Deshalb ist mir nicht bange um den Konstrukteursberuf. Sicherlich wird er sich verändern und der Konstrukteur wird sich daran gewöhnen müssen, dass ihn der Computer mit Ratschlägen versorgt, die an vielen Stellen sogar richtig sind. In der Bibel steht: „Der Mensch denkt und Gott lenkt.“ In unserem Fall lenkt der Mensch, und der Computer denkt.
*beziehungsweise auch gern „Bewusste Missverwendung wissenschaftlicher Begriffe zu Marketingzwecken.“