Die Technologie der Augmented Reality (AR) ist spätestens seit den spektakulären Videos zur Einführung der Hololens in der Branche bekannt. Seither ist es – abgesehen von Demo-Szenarien auf Messen, ruhig um AR geworden, oder? In der neuen Folge von „Zsolt erklärt“ zeigt CAD-Spezialist Zsolt Engli, dass AR tatsächlich schon eingesetzt wird.
„Beam me up, Scotty“ – Dieser berühmte Ausspruch aus Star Trek ist sicherlich jedem bekannt. Der Kapitän der Enterprise, James T. Kirk, fordert damit seinen Chefingenieur Montgomery Scott auf, ihn im Nu mit einer geheimnisvollen Technologie aus der Umlaufbahn um einen Himmelskörper auf diesen oder zurück zu befördern, im Film „beamen“ genannt. Im Raumschiff Enterprise und in anderen schon sehr alten Science-Fiction-Klassikern wurde vieles schon „erfunden“, darunter Mobilfunk und Videokonferenzen, 3D-Druck, auch von organischem Material wie Nahrung und menschliche Organe, das „Beamen“ oder der Warpantrieb (Überlichtantrieb). Viele dieser Visionen haben mit der Herausforderung zu tun, schnell von A nach B zu kommen oder ad hoc Menschen „virtuell“ zu gemeinsamer Aufgabenerfüllung zusammen zu bekommen, die Tausende, Hunderttausende oder mehr Kilometer voneinander entfernt sind. Viele dieser Visionen sind heute Wirklichkeit, wie die Mobil- und Videotelefonie und der 3D-Druck.
In der Covid-Zeit haben sind aus einigen der Visionen der Science Fiction gelebte Selbstverständlichkeiten geworden:
- Es wird nicht mehr für jede Besprechung der Flieger, der Zug oder das Auto bemüht. Es spart Zeit, Geld und ist effektiver, gelegentlich mit Hilfe von Hilfe einer Videokonferenz-Software ein Treffen durchzuführen.
- Eine Konstruktionsbesprechung kann auf dieselbe Weise mit beliebigen CAD-Systemen über Bildschirmweitergabe und Maus-/Keyboardfernsteuerung stattfinden.
- Intelligenter ist noch, wenn jeder Beteiligte auch auf Modellebene über das Internet parallelen und direkten Zugang zum Konstruktionsmodell hat – zu jeder Zeit, von jedem Ort, spontan, ohne IT-Bremsklötze und von beliebigen Geräten aus. So kann von jedem Beteiligten vor, bei und nach dem Treffen am Original gefeilt werden, um das beste Ergebnis zu erzielen. Das lässt sich aktuell nur mit Onshape umsetzen.
Auch für Montage, Fertigung und Service öffnen sich virtuelle Tore, die die Montage, den Service und die Inbetriebnahme schneller und sicherer machen. In diesem Sinne: Die AR-Zukunft ist jetzt!
In diesem Kontext möchte ich aus einem Vortrag von Daniella Wolf von Weidmüller Interface aus Detmold berichten, den sie im Rahmen der 15. Fachtagung Virtual Prototyping & Simulation des OWL ViProSim e.V. „Engineering im Wandel“ am 16.9. in Paderborn hielt. Der Vortrag von Frau Wolf und allen anderen Vortragenden findet sich hier.
Weidmüller ist Experte für die Übertragung von Energie, Signalen und Daten im industriellen Umfeld. Die Lösungen kommen in Fertigungsanlagen, in der Stromerzeugung, der Bahntechnik sowie Windkraft und Photovoltaik zum Einsatz. Die Herausforderungen durch die weltweite Verteilung der Standorte und die über die ganze Welt verteilte Kundschaft sind groß.
Das Unternehmen hat bereits vor der Pandemie begonnen, Standorte zu vernetzen, um bei Problemen im Anlagenbetrieb besser und schneller Hilfe leisten zu können. In der Vergangenheit musste bei einem Problem ein sachkundiger Servicemitarbeiter sofort mit dem Flugzeug an irgendein Ende der Welt fliegen. Wenn er dann abends ankam, konnte er sich oft erst am nächsten Tag der Lösung widmen. So entstand bei solch einer Problemlösung inklusive Reisezeiten schnell ein Aufwand von drei und mehr Arbeitstagen.
Der Weidmüller Service hat sich nach Tests verschiedener Augmented Reality-Technologien für die Microsoft HoloLens entschieden. Für die HoloLens sprach nach Wolfs Angaben:
- Die Brille sitzt gut und wird nicht als störender Fremdkörper auf dem Kopf empfunden. Der Mitarbeiter vor Ort kann sich mit ihr frei in der Fertigung bewegen.
- Sie ist prädestiniert für Mixed Reality.
- Der Mitarbeiter vor Ort ist direkt mit dem „lenkenden“ Servicekollegen in Detmold verbunden. Er ist Auge und Ohr für den Detmolder Kollegen, dieser kann lenken und mit seinem Partner mit visuellen Informationen versorgen.
- Mit der Business Edition ist ein globaler Support der Anwendung realisierbar.
Die Verbindung zwischen Brille und Gegenstation ist bidirektional: Aus Detmold verbindet sich der zentrale Service über Microsoft Teams mit der Hololens der Servicekraft vor Ort. Beide sehen dasselbe, sie sprechen miteinander. Die Zentrale kann dem Partner vor Ort visuelle Hinweise auf der Hololens einblenden. Das ist in einem Weidmüller-Video eindrucksvoll dokumentiert:
Die geschäftlichen Vorteile liegen auf der Hand:
- Es ist effizienter, da viele Probleme in 15 Minuten statt während einer ein- bis viertägigen Reise gelöst werden können.
- Es ist rentabler, da viel Mitarbeiterzeit und Reisekosten eingespart werden.
- Die Qualität und Verfügbarkeit des Supportes sind deutlich besser geworden. Jederzeit, ad hoc, an jedem Ort, schnell die Leistung zur Lösung der Aufgabe.
Es wurden im Laufe des Rollouts von 2019 bis 2021 mehr Augmented Reality-Anwendungenerfolgreich eingeführt als ursprünglich geplant. Der anfängliche Plan, sich auf den „verlängerten Arm“- Service zu konzentrieren war gut, hat aber offensichtlich an anderer Stelle weitere Anwendungsfälle für Remote-Assistenz und Remote-Betreuung erzeugt.
Nach dem Vortrag von Daniela Wolff am 16.9. beim OWL ViProSim e.V. rief einer der anwesenden Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens in OWL in seiner Firma an und bestellte zwei Microsoft HoloLens zum Preis von 2.200 Euro plus Miete für die steuernde Software. Das sei ein Spottpreis, gemessen am Vorteil, sagte er. Der ROI tritt beim ersten Serviceeinsatz ein.
Ich war, wie er, sehr überrascht, sozusagen „geflashed“, was geht. Geht noch mehr…. mehr Augmented Reality-Science-Fiction? Ja!
Ich habe mich nach der Veranstaltung bei Marco Wodarz von Inneo Solutions in Hamburg über die Möglichkeiten der virtuellen Assistenz und AR schlau gemacht. Dabei hatte ich Gelegenheit, mit der HoloLens und der AR-Software Vuforia von PTC selbst einen Anwendungsfall durchzuspielen. Es handelt sich um ein Training von Wartungsaufgaben an der Gondel eines Windrades. Solch eine Gondel hat der Hersteller und Betreiber typischerweise nicht in seiner Servicestätte. Diese ist stattdessen üblicherweiseweit oben hinter dem Rotor des Windrades angebracht, also kein toller Ort für ein fundiertes Training.
In diesem Anwendungsfall wird ein digitales Modell in der HoloLens mit einem physikalischen Modell überlagert, sozusagen verheiratet. Danach konnte ich auf dem physikalischen Modell des Windrads im Maßstab 1: 100 den Teil der Anlage markieren, zu dem ich eine Schulungsanleitung erhalten wollte. Ich wurde durch die Abläufe geführt, wie mit dem Rotorlock die Flügel blockiert werden. Dabei wurden über die Verbindung zur IoT-Plattform Thingworx Sensordaten der Windkraftanlage, Informationen des Wetterdienstes und andere Leistungsdaten im Sichtfeld der HoloLens eingeblendet.
Das Video zeigt meine Trainingssession aus Sicht des HoloLens-Anwenders.
Ein weiteres Beispiel, das eher zum oben beschriebenen Serviceszenario von Weidmüller passt, kommt vom Vuforia-Anwender Howden. Ein Routine-Serviceauftrag soll begleitet werden:
Der „digitale“ Servicemonteur wird durch eine Checkliste von anstehenden Serviceaufgaben geleitet. Durch die anfängliche Verheiratung des digitalen mit dem physikalischen Modell verweist die digitale Anleitung immer an den richtigen Ort der Aufgabe im physikalischen Modell. Irrtümer und langes Irren durch Papier oder PDF-Anleitungen werden vermieden.
Der Clou ist die Verknüpfung mit aktuellen Messwerten, IOT Daten. Viele Geräte sind heute mit Sensorik versehen, die den Zustand, Temperatur und Druck zum Beispiel, irgendwo im Inneren des Gerätes abgreifen. Auf Basis dieser Analytik können weitere optionale Serviceschritte eingeleitet werden.
Bahnbrechende Augmented Reality-Anwendungen wie die von Weidmüller umgesetzten können somit wunderbar mit einer Bibliothek von standardisierten Mixed-Reality Serviceanleitungen ergänzt werden. Solche Anwendungen unterstützen Servicekräfte vor Ort mit „Anleitungen on-demand“. Der hochqualifizierte Servicemitarbeiter in der Zentrale kann sich dann interaktiv auf die komplexeren Anfragen fokussieren. Eine Verbindung mit IOT-Daten, also realen Daten aus dem Prozess, helfen zudem noch, schnell fundierte Entscheidungen zu treffen.
AR-Anwendungen sind, wie Daniela Wolf in ihrem Vortrag ausgeführt hat, ideale Brückentechnologien, um verschiedenste Bereiche mit Dokumentation und visueller Anleitung zu versorgen. Mixed Reality-Anwendungen wie Vuforia und geeignete Endgeräte wie die HoloLens beim Service im Feld oder ein Tablet für den Vertrieb, werden zunehmend Papier und das digitale Papier (PDF) ersetzen. Die Zeit ist reif, diese Steinzeit-Technologien zu ersetzen. Diese Zukunft ist jetzt!