Dassault Systèmes versammelte zur 3DExperience Conference Euro Central 2022 vom 14.-15. September knapp 600 Kunden, Reseller und eigene Mitarbeiter im Kongresszentrum Darmstadtium. Es herrschte eine besondere Atmosphäre, man freute sich, alte Bekannte nach über zwei Jahren wiederzusehen und kam schnell ins Gespräch. Diese positive Grundstimmung übertrug sich auch auf die Vorträge und Breakout Sessions, nach denen fast immer rege Diskussionen in Gang kamen. Wohl fast jeder Teilnehmer nahm eine beträchtliche Menge neuer Ideen, Erfahrungen und Visitenkarten mit nach Hause. In zwei Teilen berichte ich hier über die beiden Veranstaltungstage.
Tag 1
Plenary Sessions
Eröffnet wurde die Veranstaltung von Dominic Kurtaz, Managing Director Eurocentral bei Dassault Systèmes und der Moderatorin Yasmine Blair. Kurtaz schlug in seiner Eröffnungsrede den Bogen vom ersten Bild der Erde, das vor genau 50 Jahren ein Mensch aus dem Weltall gemacht hat, zu den heutigen Entwicklungen und Herausforderungen von der Klimakrise über die Entschlüsselung des menschlichen Genoms bis zum künstlichen Fleisch. Das Bild hatte erstmals die Verletzlichkeit der Erde gezeigt und zu den ersten Umweltbewegungen geführt.
Fortschrittliche Technologien helfen dabei, Schritt für Schritt voranzukommen. Kurtaz nannte als Beispiel für den immer schneller werdenden Wandel Videokonferenzen, die sich in den Corona-Lockdownphasen in rasender Geschwindigkeit etablierten und uns heute völlig normal vorkommen. Kaum je in den letzten Jahrzehnten standen Unternehmen und Arbeitnehmer vor größeren Herausforderungen: Fachkräftemangel, Inflation und Ressourcenschwund. Dassault Systèmes biete mit der 3DExperience Plattform eine Lösung, um diesen Herausforderungen gegenüberzutreten.
Der führende Trend- und Zukunftsforscher Lars Thomsen verglich die digitale Transformation mit der Zubereitung von Popcorn: Anfangs platzen nur wenige Körner, dann werden die Explosionen immer stärker, bis ein wahres Feuerwerk poppender Maiskörner entsteht. Digitale Technologien verhielten sich ähnlich: Auf eine eher langwierige Einführungsphase folgt eine immer schnellere Entwicklung in eine digitale Zukunft. Technologien, die uns heute noch selbstverständlich vorkommen, werden in der Zukunft seltsam wirken. Thomsen zitierte seine Tochter, die sich über Festnetztelefone wunderte: „Da muss man ja zu Hause bleiben, um erreichbar zu sein.“
Lukas Breetz, Process Owner MBSE bei Miele, sprach über die Einführung von Model Based Systems Engineering bei dem Hausgerätehersteller. Das Hauptproblem solcher Projekte sei die hohe Komplexität in mehreren Bereichen – Produkt, Prozess und Mitarbeiter. Miele startete 2015 mit der Einführung von MBSE und entschied sich, nicht mit einem Big Bang einzusteigen, sondern Schritt für Schritt. Kleinere Projekte mit relativ wenigen Beteiligten bildeten den Beginn und wuchsen langsam zu größeren Prozessen zusammen.
Auch hier passe das Popcorn-Bild – langsamer Beginn, der es ermöglicht, die Komplexität beherrschbar zu halten, und dann, wenn die ersten Prozesse etabliert und Mitarbeiter Erfahrungen machen, nehmen die Projekte und Entwicklungen immer stärker Fahrt auf. Wichtig sei es, die Menschen mitzunehmen, um das richtige Momentum zu generieren.
Andrea Bugar, Head of Digital Design Manufacturing and Services (DDMS) bei Airbus Defence and Space, berichtete, wie der Konzern in der Konstruktion und Fertigung vom digitalen Zwilling profitiert. Als Beispiel wählte sie die Eurodrone, ein gemeinsames Militärprojekt, das von den Ländern Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien vorangetrieben wird. Die Elemente der Drohne werden in diesen Ländern entwickelt und gefertigt und am Ende im bayrischen Manching zusammengebaut. Die Flügel entstanden in Italien, der Rumpf in Spanien.
Aufgabe der DDMS ist es nun, sicherzustellen, dass trotz der verteilten Konstruktion und Fertigung alle Teile optimal zusammenpassen und miteinander harmonieren. Hier ist der digitale Zwilling die Basis aller Prozesse und Methoden, die 3DExperience Plattform liefert die Tools dazu.
In einer kurzen Plenarrunde der vier Keynote-Speaker der 3DExperience Conference betonten die Teilnehmer die besonderen Herausforderungen etablierter Unternehmen durch bestehende Daten und – oft selbst entwickelte, optimal an die Anforderungen angepasste, aber eben auch nicht vernetzte – Speziallösungen in den Abteilungen. Letztere bereiten oft Probleme in Einführungsszenarien, wenn sie durch Funktionen der Plattform ersetzt werden sollen. Diese Funktionen sind weniger individuell angepasst, aber stärker in die Prozesse eingebunden.
Kollaboration und Team Continuity wurden als wichtigste Errungenschaften einer Plattform beschrieben, mehr Mitarbeiter bekommen Zugang zum System und dessen Daten. Thomsen sagte „Produktion ist wirklich schwierig. Am Ende muss irgendjemand die Produktideen in die Realität umsetzen. Um diese komplexe Aufgabe zu unterstützen, braucht die Produktion Zugang zum digitalen Zwilling des Produkts. Bugar unterstützte dies, sie nannte den digitalen Zwilling den „Schlüssel für alle Prozesse“, als „Kern der Innovation“ und als Enabler, um effizienter zu werden.
Thomsen forderte selbstlernende Systeme, die wiederkehrende Muster erkennen und deren Automatisierung erleichtern. Der Einsatz digitaler Systeme sei an vielen Stellen noch viel zu ineffizient. Die Plenarrunde zeigte: Es gibt noch viel zu tun und die Digitalisierung bietet noch viel Potential. Viele Unternehmen tun sich allerdings noch schwer mit der Umsetzung, sei es aus Beharrungsvermögen, aufgrund der Schwierigkeiten, die die Einbindung bestehender Datenbestände mitbringt – oder schlicht aufgrund der Unkenntnis, wie man diese Aufgabe angehen soll.
Strategy Sessions
Nach der Mittagspause ging die 3DExperience Conference mit parallelen Sessions weiter, ich besuchte Session II zum Thema Virtual Twin. Hier berichteten Gregor Judex und Sebastien Gautier von Dassault Systèmes über „Integrated Modeling & Simulation for Sustainable Product Development“. Sie zeigten, wie mit Hilfe von Simulation Templates auch die Konstrukteure in die Lage versetzt werden können, komplexe Simulationen durchzuführen.
Simulation Template bedeutet, dass ein Simulationsspezialist einen kompletten Simulationsfall definiert hat, beispielsweise einen Falltest für Shampooflaschen. Der Bediener lädt lediglich seine Geometrie über eine Weboberfläche in die Simulation und macht wenige weitere notwendige Eingaben, um die Simulation zu starten. So lassen sich auch komplexe Simulationen „demokratisieren“ und weit über die Simulationsabteilung hinaus nutzen. Der Effekt einer gut optimierten Verpackung ist riesig, oft ergeben 20 Prozent weniger Material tausende Tonnen vermiedenen Kunststoffabfall pro Jahr. So konnte ein Dassault-Kunde das Flaschendesign inklusive der Simulation in Modsim von zehn Monaten auf drei Wochen verkürzen.
Breakout Sessions
Nach der Kaffeepause verteilten sich die Teilnehmer der 3DExperience Conference auf vier Breakout-Session-Tracks. Im Track „Business Platform“ zeigte Michael Lichtenthäler von Dassault Systèmes, wie sich Kundenfeedback ins Unternehmen zurückspielen lässt. Dazu sammelt die Plattform Social-Media-Einträge zu den eigenen Produkten und wertet sie unter anderem nach geographischer Verteilung aus.
Zeigt sich in diesen Einträgen, dass es bestimmte Probleme mit dem Produkt – im Beispiel einer Drohne – gibt, lassen sich diese „Complaints“ entweder teilautomatisiert oder manuell einer Baugruppe oder einem Bauteil zuordnen. Der Bearbeiter dieser Complaints kann sie dann analysieren – zum Beispiel: welche Gemeinsamkeiten haben die betroffenen Bauteile? – und als „Issue“ an die verantwortlichen Stellen weitergeben. Dies kann ein Konstrukteur beziehungsweise ein Team sein oder auch der Einkauf, der mit einem Lieferanten verhandelt. Ein schönes Beispiel, wie mit wenig Aufwand ein wichtiger Vorteil aus den vernetzten Informationen auf der Plattform erzeugt werden kann.
Im Simulation-Track zeigte Dr. Daniel Vallicotti von Cenit, wie Multiphysiksimulation in der 3DExperience funktioniert, auch hier spielten die oben erwähnten Simulation Templates eine wichtige Rolle. Zum Abschluss präsentierten Klaus Roos und Rolf Bücker von Bose Fahrzeugteile, wie bei dem Automobilzulieferer digitale Daten von der Konstruktion in die Fertigung und wieder zurück fließen. So werden Toleranzdaten aus der Konstruktion in der Fertigung über das 3D Mastermodell an die Messmaschine weitergegeben und in einer farbig hinterlegten Darstellung mit deren Messwerten verknüpft. So sieht man einerseits sofort, ob alle Werte eingehalten werden, andererseits helfen solche formalisierten Prozesse, über 16 Fertigungsstätten hinweg konsistente Qualität und Prozesse zu etablieren.
Abschluss und Abendveranstaltung
Den ersten Tag der 3DExperience Conference beschloss ein Vortrag der Jetpilotin Nicola Winter, die zeigte, wie man als Frau mit einer Körpergröße von nur 1,60 Meter alles erreichen und im wahrsten Sinn des Worts ganz nach oben kommen kann – sie arbeitet daran, Astronautin zu werden. Die folgende Abendveranstaltung wurde von den Teilnehmern gerne genutzt, um den Tag Revue passieren zu lassen und neue Kontakte zu knüpfen.
Hier geht es weiter mit Tag 2.