Metaversum III: Wo stehen wir heute – und wozu stehen wir da??
Überraschenderweise ist Second Life nach wie vor erfolgreich, etwa 900.000 User sind monatlich aktiv, nach einem erkennbaren Anstieg während der Pandemie. Computerspiele wie Fortnite oder Roblox, bei denen User in und mit virtuellen Welten interagieren können, haben grüßen Erfolg. In Fortnite und Roblox wurden schon Live-Konzerte veranstaltet, wie übrigens auch in Second Life. Allerdings greifen die Plattformen hier zu einem Trick: So waren beim Konzert des Rappers Travis Scott zwar 12 Millionen Zuschauer dabei, aber eben nicht alle gemeinsam: Die Plattform vervielfachte den Bereich, in dem das Konzert stattfand, so dass nur wenige Dutzend Avatare tatsächlich in einer gemeinsamen Instanz waren. Damit ist sozusagen das dritte Merkmal von Balls Bedingungen nicht erfüllt.
Die Grafik ist inzwischen recht realistisch und auch die Physik funktioniert „richtig“ – was Epic Games und deren Spieleengine Unreal ins Spiel bringt. Unreal ist eine Art Betriebssystem für Spiel. die dafür sorgt, dass die virtuelle Welt realistisch – oder eben gewünscht unrealistisch – funktioniert. Ohne Unreal könnte man Gegenstände nicht anfassen und bewegen, ebenso berechnet die Engine beispielsweise die Schwerkraft ins Verhalten aller Bestandteile der Simulation. Im Gegensatz zu Physikengines technischer Simulationspakete ist Unreal auf Echtzeit-Geschwindigkeit ausgelegt, es werden Abstriche bei Detailgrad und Realismus gemacht, um jegliche Latenz der Umgebung zu verhindern.
VR-Brillen bringen zusätzliche Realität ins Spiel – nicht umsonst hat Facebook den VR-Brillen-Pionier Oculus VR gekauft. Der Nutzer wird noch stärker in die virtuelle Welt hineingesogen und kann sich stärker mit ihr identifizieren. In den aktuellen Welten ist es also möglich, das „echte Leben“ sehr weitgehend nachzuempfinden – Linden Labs hat in Second Life sogar die Möglichkeit implementiert, Sex zwischen Avataren (erwachsener Spieler) zu haben. Die Teilnehmer nutzen das System heute, um Tiere zu züchten, andere Menschen zu treffen oder speziellen Interessen nachzugehen – beispielsweise in Star Trek-Rollenspielen.
Trotzdem stellt sich bei solchen Metaversen am Ende doch die Frage, welchen Zweck es hat, am Computer in einer Software das reale Leben nachzuspielen – statt einfach ins reale Leben hinauszugehen. Im Gegensatz zu Computerspielen gibt es in Second Life keine Mission, keine Handlung und kein Ziel, das zu erreichen ist.
Interessanterweise spielen ja alle Bücher und Filme, in denen ein virtuelles Universum eine Rolle spielt, in dystopischen Welten – sei es „Snow Crash“ von Neal Stephenson, in dem die Worte „Metaversum“ und „Avatar“ im Jahr 1992 erstmals erwähnt wurden, „Ready Player One“ oder „Matrix“. Die Protagonisten fliehen aus ihrem schönen realen Leben in die glänzende virtuelle Welt – für sie macht es ja Sinn. Wer jedoch in unserer Welt ein einigermaßen gutes Leben hat, hat keine Veranlassung, viele Stunden und Tage in virtuellen Welten zu verbringen.
Andererseits verbringen erstaunlich viele Menschen schon heute viel Zeit auf Facebook, Youtube oder TikTik. Zuckerbergs Metaverse ist dementsprechend die realistisch aussehende Version eines Social Networks – in dem die Menschen noch mehr Zeit verbringen sollen. Und Zuckerbergs Wette auf das Metaverse ist groß: Oculus kostete 2014 2,3 Mill. Dollar, inzwischen arbeiten wohl knapp 10.000 Facebook-Mitarbeiter an VR- und AR-Technologien. Alleine in Europa will der Konzern laut einem Heise-Artikel weitere 10.000 Stellen im Metaverse-Bereich aufbauen.
Und hat uns nicht die Pandemie gelehrt, wie gut Videokonferenzen im geschäftlichen und privaten Bereich funktionieren? Wäre es nicht großartig, wenn man beim Telefonieren nicht nur einen Oberkörper auf dem Bildschirm gegenübersitzen hätte, sondern sich per Avatar virtuell treffen könnte? Hier steht allerdings die Tatsache im Weg, dass keine bezahlbare Technologie die Mimik auf einen Avatar übertragen kann – wer will schon den ganzen Tag mit grünen Punkten auf dem Gesicht herumlaufen wie die Schauspieler beim Filmen von James Camerons „Avatar“? Und ohne Gesichtsmimik ist ein großer Faktor der Kommunikation wieder verloren – was den Erfolg von Video- gegenüber Telefonkonferenzen erklärt.
Wie ein zu Ende gedachtes Metaversum aussehen würde, zeigt der Film „Matrix“ – die realen Körper der Menschen liegen in einer Art Hochregallager, während der Verstand der Menschen in einer kompletten virtuellen Welt lebt. Das kann und wird natürlich nicht das Ziel der Entwicklung sein – und nicht umsonst warten die Menschen in der Matrix auf ihren Erlöser in Form des „Auserwählten“. Andererseits ist eine simulierte Welt immer dann interessant, wenn es darum geht, Dinge zu tun, ohne reale Konsequenzen zu erfahren – das beste Beispiel sind hier Flugsimulatoren für die Pilotenschulung. Hier lassen sich beliebig schwere Notsituationen trainieren, am Ende zerschellt eben nur ein virtuelles Flugzeug und der Pilot geht – um eine Erfahrung reicher – nach Hause.
Alle Teile:
Metaversum I: Eine Wette auf die Zukunft mit realem Unterbau
Metaversum II: Was ist denn überhaupt ein Metaversum?
Metaversum III: Wo stehen wir heute – und wozu stehen wir da?
Metaversum IV: Arbeiten in Virtuellen Welten