Wissen ist Macht, mehr Wissen ist mehr Macht?
Wissen ist Macht – das stellte schon der englische Philosoph Francis Bacon im Jahr 1598 in seinen „Meditationes sacrae“ fest. Und so versuchen Personen, Staaten und Unternehmen schon immer, möglichst viele Informationen zu sammeln. Denn Informationen sind die Grundlage von Entscheidungen – je mehr richtige Informationen vorliegen, desto weniger Annahmen sind notwendig, um eine fundierte Entscheidung zu treffen.
In den meisten Bereichen wird jedoch meist nur die Entscheidung dokumentiert, nicht aber die Gründe, die zu dieser Entscheidung führten. In der Produktentwicklung wird meist nur die erfolgreiche Variante dokumentiert, die schließlich das fertige Produkt ergibt. Dabei entstanden auf dem Weg dahin dutzende oder gar hunderte anderer Varianten erdacht, aber wieder verworfen. Ändern sich die Vorgaben, kann nicht auf diese Varianten zugegriffen werden, obwohl da vielleicht die Lösung des Problems schon einmal entwickelt und dann verworfen wurde.
Zudem entstehen Informationen zu einem Produkt an ganz unterschiedlichen Stellen im Unternehmen, stehen dann aber in den traditionellen Silostrukturen nirgends komplett zur Verfügung. So kann es vorkommen, dass der Einkauf eine bestimmte Komponente sehr teuer einkauft, weil der Konstrukteur ein Material vorgegeben hat. Dabei wäre das Bauteil in einem anderen Material vielleicht viel preiswerter verfügbar, aber der Einkäufer weiß nicht, warum das vorgegebene Material gewählt wurde und wie wichtig es ist, genau dieses Material zu nutzen.
Ein engagierter Einkäufer wird nun zum Konstrukteur gehen oder ihn anrufen, um zu fragen, ob das preiswertere Teil die Anforderungen auch erfüllen würde. In ganz vielen Fällen wird aber nicht nachgefragt, sondern ein Einsparpotential liegengelassen. So geht es an ganz vielen Stellen – ein Zentimeter Breite des Produkts und damit der Verpackung kann signifikant geringere Versandkosten bedeuten, aber das kann der Konstrukteur nicht wissen – bis der Logistiker nachfragt. Dann sind aber schon Formen gebaut und die Fertigung vorbereitet und de Änderung, die vielleicht gar keinen technischen Nachteil hätte, ist nicht mehr möglich.
Steigende Energiepreise, CO2-Zertifikate, Konkurrenz aus Billigländern oder unsichere Lieferketten – es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum es sich lohnt, jedes mögliche Einsparpotential zu nutzen. Das gelingt nur, wenn an jeder Stelle die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Und das wiederum bedingt, dass an jeder Stelle die Daten und Informationen vorliegen, die zur richtigen Entscheidung und zum optimalen Prozess beitragen.
Gab es früher oft zeitliche, technische und finanzielle Zwänge, die dafür sorgten, dass nur spärlich dokumentiert wurde, ist diese Argument in Zeiten digitaler Prozesse und quasi unbegrenzten, billigen Speicherplatzes obsolet geworden. Moderne Technologien ermöglichen schnelle Suchen in gigantischen Datenbeständen, so dass auch obskure Informationen wiedergefunden werden können.
Gleichzeitig steigen die Verpflichtungen für Unternehmen zur Dokumentation ständig an. Was mit Sicherheitsvorschriften und der Einhaltung von DIN-Normen begann, ist heute mit REACH-Dokumentation der Rohstoffe und spätestens dem Lieferkettensorgfaltsgesetz ab 2023 zu einer gigantischen Welle von Dokumentationspflichten angewachsen. Jedes größere Unternehmen muss detailliert nachweisen, welche Stoffe in seinem Produkt und dessen Bauteilen stecken, wo diese herkommen und unter welchen Bedingungen sie gefördert, hergestellt und weiterverarbeitet wurden – und das über die gesamte Lieferkette hinweg.
Das bedeutet, dass mit jedem Produkt, jedem Bauteil und jedem Halbzeug ein Datensatz mitgeliefert werden muss, in dem diese Informationen aufgeführt sind. Was mit REACH nur die Inhaltsstoffe betraf, umfasst nun auch die Entstehung der Stoffe und deren Verarbeitung. Denkt man an komplexe Produkte wie ein Auto, das aus mindestens 10.000 Bauteilen besteht oder gar der Boeing 747-8 mit etwa sechs Mio. Einzelteilen, wird schnell klar, dass sich diese Informationen nur digital verwalten und ablegen lassen.
Die Beispiele zeigen: Digitale Zwillinge sind keine trendige Idee, sondern unausweichliche Konsequenz moderner Prozesse und Anforderungen. Doch was braucht ein digitaler Zwilling, was sind seine Vorteile?
Alle Teile:
Wissen ist Macht, mehr Wissen ist mehr Macht?
Anatomie des digitalen Zwillings
Der reale Zwilling kommt ins Spiel
Der digitale Zwilling erwacht zum Leben
Alter Wein in neuen Schläuchen?