Der reale Zwilling kommt ins Spiel
Anfangs existiert der digitale Zwilling allein, ja es ist sogar seine Aufgabe, die „Geburt“ seines realen Pendants so lange wie möglich zu verhindern. Indem der digitale Zwilling die Basis für eine große Vielfalt von Simulationen bildet, macht er reale Prototypen überflüssig. Diese Simulationen sind auch ohne den digitalen Zwilling möglich, erfordern aber, wenn sie wirklich realistisch sein sollen, eine aufwendige Vorbereitung. Der digitale Zwilling enthält all die vielen Informationen, die für jede Art von Simulationen notwendig sind und bisher mühsam zusammengesucht werden mussten. Im Zeitalter des digitalen Zwillings – und in der idealen Welt – sucht sich die Simulation die benötigten Daten aus dem digitalen Zwilling zusammen – von der Geometrie über das Material bis hin zum Verhalten. Dabei enthält beispielsweise der digitale Zwilling einer elektronischen Komponente auch dessen Wärmeverhalten, so dass dessen Abwärme in einer thermischen Simulation berücksichtigt werden kann. Die Höhe der Wärmeentwicklung kann wiederum von dem aktuellen, zu simulierenden Status der Maschine abhängen und damit von der Software. Man kann es so ausdrücken: Der digitale Zwilling repräsentiert das Produkt, die Simulation erweckt das Produkt zum (virtuellen) Leben.
Doch irgendwann geht es weiter im Lebenszyklus und der reale Zwilling entsteht. Dazu muss er gefertigt werden, was eine weitere Konstruktionsphase auslöst, in der Fertigungsanlagen und Informationen entstehen, auf denen das Produkt gefertigt werden soll – seien es ganze Maschinen, einzelne Betriebsmittel oder einfach NC-Programme. Natürlich haben diese Anlagen und Informationen ebenfalls einen digitalen Zwilling und der digitale Zwilling des Produkts ist die Basis für die Entstehung der Fertigungsanlagen und NC-Programme. Spätestens jetzt wird es komplex, wir treten in eine Welt miteinander vernetzter digitaler Zwillinge ein.
Oft wird von verschiedenen digitalen Zwillingen gesprochen, vom digitalen Zwilling des Produkts, der Fertigung und dem digitalen Servicezwilling. In meinem Verständnis sind dies verschiedene Sichten oder Bereiche des Gesamtzwillings – der sich im Falle der Fertigung mit anderen Zwillingen überschneidet und verbindet.
Meine Definition macht diese Sichten aber nicht weniger wichtig oder relevant. Diese digitalen Zwillinge repräsentieren verschiedene Lebenszyklusbereiche: Der Digitale Zwilling des Bauteils an sich, der digitale Zwilling der Fertigung und der digitale Servicezwilling – die eben in den Phasen Konstruktion, Fertigung und Nutzungsphase im Vordergrund stehen. Und wie es Stücklisten „as designed“, „as built“, „as maintained” und so weiter gibt, so entwickelt und wandelt sich der digitale Zwilling im Laufe des Produktlebenszyklus ständig weiter.
In meinem Verständnis handelt es sich dabei um ein und denselben Zwilling, der immer weiter mit Informationen angereichert wird, verschiedene Stufen und eine Historie besitzt und so den Lebenszyklus des Produkts abbildet.
Sobald ein realer Zwilling existiert, generiert dieser Informationen, die in den digitalen Zwilling zurückgespiegelt werden. So fließen in den digitalen Zwilling der Fertigung Daten aus der realen Fertigung ein, beispielsweise Seriennummern verbauter Komponenten, Anzugsdrehmomente, Fertigungsdatum, Chargennummern und so weiter. Damit kann sich der digitale Zwilling, der bis hierhin sozusagen ein Idealbild des Produkts war, in ganz viele Zwillinge aufspalten und jedes einzelne reale Produkt seinen eigenen, individuellen Zwilling besitzen. Ob das sinnvoll ist, hängt natürlich stark vom Produkt ab, von dessen Typ, Lebenszyklus, Lebensdauer, Preis und Komplexität. Sobald ein Produkt mit Seriennummern ausgestattet ist, kann es sinnvoll sein, einzelne Produkte weiterzuverfolgen und digital abzubilden.
Alle Teile:
Wissen ist Macht, mehr Wissen ist mehr Macht?
Anatomie des digitalen Zwillings
Der reale Zwilling kommt ins Spiel
Der digitale Zwilling erwacht zum Leben
Alter Wein in neuen Schläuchen?