Wirklich konsequent umgesetzte Konstruktionen, die die Vorteile der additiven Fertigung wirklich ausnutzen, erfordern einerseits viel Know-how über den Prozess und andererseits Werkzeuge, die dieses Know-how unterstützen und in Produkte übersetzen. Das Stichwort hier heißt Design for Additive Manufacturing (DfAM). Die Entwicklungsumgebung muss es ermöglichen, den 3D-Druckprozess zu beeinflussen und genau zu definieren. Dazu reicht es nicht, ein STL-Modell aus dem CAD-Modell in eine Slicer-Software zu übertragen und dort die einzelnen Bauschichten zu definieren. Die Anpassung der Strategie und die Simulation des Bauvorgangs sollten in einem integrierten System ablaufen, um Erkenntnisse aus der Simulation sofort in das Urmodell zurückführen zu können. Am Beispiel einer Strahlturbine, die komplett in einem Durchgang gedruckt wurde, zeigte PTC, wie dies aussehen kann.
Im Mai sah ich das Schnittmodell der Turbine zum ersten Mal in der Ausstellung der PTC Liveworx in Boston, es gab auch einen Vortrag dazu auf der Veranstaltung.. Nach einer Pressemitteilung im Juli konnte ich nun mit Dr. Ronen Ben Horin, VP of Technology bei PTC und Senior Research Fellow am Technion – Israel Institute of Technology, sprechen, der gemeinsam mit Beni Cukurel, außerordentlichem Professor für Luft- und Raumfahrt am Technion, das Projekt konzipiert und geleitet hat. Er gab mir einen Überblick zu dem Projekt und zeigte, wie clever man AM-Technologie und -Prozesse einsetzen kann, um die Möglichkeiten optimal zu nutzen.
Das Mikro-Turbotriebwerk, dessen Rotor bis zu 50.000 Umdrehungen pro Minute erreicht, ist einerseits ein Technologiedemonstrator für AM in der Aerospace-Industrie, andererseits aber auch ein fertiges Produkt, das beispielsweise in kommerziellen oder militärischen Drohnen zum Einsatz kommen könnte. Das Triebwerk besteht aus lediglich zwei Bauteilen, die alle Funktionen in sich vereinigen und die auf einer EOS 300-Maschine in einem Durchgang gemeinsam gedruckt werden. Die beim Metall-3D-Druck oft notwendige, aufwändige Nachbearbeitung entfällt komplett; das Triebwerk ist nach dem Entpulvern und Lösen von der Grundplatte einsatzbereit. Das reduziert die Kosten und ermöglicht eine On-Demand-Fertigung direkt beim Kunden vor Ort.
Design for Additive Manufacturing (DfAM) ist sehr komplex und erfordert ein großes Fachwissen über die Gestaltungsmöglichkeiten, Prozessabläufe und Beschränkungen des Druckprozesses. Gerade der hier verwendete hochtemperaturfeste Edelstahl Inconel neigt beim 3D-Druck sehr zum Verziehen und zu Rissen. Statt nun viele, mühsam zu entfernende Stützstrukturen anzubringen, wurden Prozess und Gestaltung so angepasst, dass keine Stützen notwendig waren. Unter anderem wurde der Rotor so gestaltet, dass alle Schichten dieselbe bearbeitete Fläche aufweisen. Damit ist die Kühlzeit aller Schichten gleich und sogar so filigrane Strukturen wie die Schaufelblätter lassen sich ohne Verzug drucken. Zudem wurde die Steigung der Blätter so gewählt, dass auch hierfür keine Stützstrukturen notwendig wurden.
Die gleichmäßige Abkühlung des Stahls sorgt zudem dafür, dass die Gefügestruktur des Stahls gleichmäßig ist. Bei ungleichmäßiger Abkühlung finden sich im Werkstoff Martensit- und Austenit-Gefüge, was sich auch schon rein optisch abzeichnet. Der Werkstoff der Turbine liegt dagegen – wie gewünscht – komplett als austenistisches Gefüge vor.
Das Statorgehäuse, in dem sich der Rotor dreht, ist ebenfalls voller guter Ideen, die mehrere Funktionen in eine Struktur integriert wurden. So fließt der Brennstoff in eine rund um das Rotorlager angeordneten Kammer, die mit einem Gitter ausgefüllt ist. Diese leitet zum einen Wärme aus dem Lager in den Brennstoff und kühlt so das Lager. Zum anderen verhindert die Gitterstruktur das Herumschwappen des Treibstoffs – und nicht zuletzt stützt sie das „Dach“ der Kammer beim Drucken. Öffnungen in dieser Kammer ermöglichen es dem Treibstoff, in den Schlitz zwischen Rotor und Stator zu gelangen, der Treibstoff dient so als hydrostatische Lagerung für den Rotor. Auch die Brennkammer der Turbine ist zum Teil mit einem Stützgitter gefüllt, das die Deckwand trägt und so gestaltet ist, dass sie der Verbrennung widersteht.
Normalerweise ist die Oberfläche 3D-gedruckter Metallteile rauh, denn beim Laserschmelzen werden auch immer Pulverkörner knapp neben dem Schmelzpool mit der Oberfläche verbacken. Üblicherweise werden deshalb die fertigen Metallteile sandgestrahlt und bei bedarf überfräst. Das ist natürlich in dem Lagerspalt zwischen Stator und Rotor nicht möglich. Die Technion-Mitarbeiter bedienen sich deshalb eines Tricks: Fertigt man zwei Wände sehr nah nebeneinander, „saugt“ der Laserstrahl das Pulver im Zwischenraum beim Herstellen der zweiten Wand durch die Kapillarwirkung des Schmelzpools an. So entsteht ein leerer Spalt und es sind keine Pulverkörner mehr vorhanden, die anbacken können.
Um solche Tricks wie den beschriebenen anwenden zu können, muss es möglich sein, den Druckprozess mittels DfAM genauestens zu beeinflussen und zu definieren. „Das geht nicht ohne eine Lösung, die Modellierung, Slicing, Scanstrategie und Prozessdefinition sowie Simulation eng integriert“, sagte mir Ben Horin. „Mit der Turbine zeigen wir unseren Aerospace-Kunden, wie gut sich Creo für diesen Prozess eignet.“
„Bisher war der AM-Prozess oft nicht skalierbar“, so Ben Horin weiter, „weil viel Nachbearbeitung notwendig ist. Das haben wir hier vermieden.“ Neben der nicht notwendigen Nachbearbeitung ist das äußerst geringe Gewicht von 3,6 Kilogramm ein wichtiger Vorteil. Zudem kann das Triebwerk ohne weitere Montage ausschließlich mithilfe eines Metalldruckers gefertigt werden – direkt beim Kunden oder beispielsweise auf einem Schiff.
Ich bin sehr begeistert von der Turbine – sie zeigt eindrücklich wie weit wir einerseits heute technologisch gekommen sind. Andererseits unterstreicht das Beispiel eindrücklich, wie viel Know-how und Praxiswissen – um die „kleinen schmutzigen Tricks“ sozusagen es braucht, um wirklich innovative Konstruktionen zum Leben zu erwecken. Und nicht zuletzt ist das ganze Wissen nichts wert, wenn man nicht die Werkzeuge hat, um diese Tricks in den Bauprozess einfließen lassen zu können. Ohne ein CAD-System mit ausgereiften DfAM-Funktionen wie Creo wäre das nahezu unmöglich und jedenfalls nicht effizient umsetzbar.